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Rezension zu
Der weite Raum der Zeit

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Existenzielle Themen

Von: Michael Lehmann-Pape
04.07.2016

„So viele Geschichten übers Verlieren und Wiederfinden. Als wären Geschichten ein einziges Fundbüro.“ „Vermissen. Wir kennen das Gefühl. Jedes Bemühen, jeder Kuss, jeder Stich ins Herz, jeder Brief nach Hause, jeder Aufbruch ist ein Suchen, weil etwas verloren ging“. Sätze, die das Grundbefinden des Menschen, die Suche nach Liebe, die innere Sehnsucht nach „dem Zwilling“ beschreiben. Ein existenzielles Thema, seit es Menschen gibt. Und das mit Leidenschaften einhergeht, in Blindheit durch einen Wahn der Gefühle ausarten kann, in dem man sich selbst verliert und Unglück statt des ersehnten, gesuchten und erhofften Glücks den Wegrand säumt. Und wenn es so weit gekommen ist und sich diese „Härte des Herzens“ im Leben verfestigt hat wie eine Mauer, dann braucht es schon besondere Ereignisse und Kraft, den Wahn der Vergangenheit, die Fehler des Lebens vielleicht wiedergutmachen zu können. So wie bei Leo, Banker, der in rasender Eifersucht seine schöne und, natürlich, rauschhaft geliebte Ehefrau Mimi verstößt, samt deren ungeborenen Kind. Und Jahre werden vergehen müssen, bis von einer ganz anderen, unerwarteten Seite, einer Fügung des Schicksal her, in diese Verhärtungen neue Bewegung kommen wird und kommen kann. Diese „Reise“ durch die tiefsten Gefühle im Menschen, die sich im engen Zusammenfinden, aber auch in rasender Eifersucht gleichermaßen ausdrücken können, hat Shakespeare zu seiner Zeit als „Das Wintermärchen“ genial und mit tiefer Menschenkenntnis geschrieben. Und dieses „Wintermärchen“, diese Geschichte von Liebe, Eifersucht, Verstoßung, Trennung, aber auch einem „sich Finden“ in einem kaum zu glaubenden Schicksal nimmt Jeanette Winterson auf und schreibt diese Geschichte neu. Modern, frisch. Mit großer Poetik, aber auch, wie Shakespeare an den entsprechenden Stellen, mit krachender Klarheit und schmerzhaften Gefühlsausbrüchen. Und einem emotional dichten Blick auf die Irrationalität der Gefühle. Denn für die Eifersucht, für die Unterstellung gar, das werdende Kind seiner Frau sei eben nicht von ihm sondern von seinem besten Freund, finden sich keine realen Gründe für Leo, der seine Frau verstoßen wird. Es ist dieser Blick auf die Macht irrationaler Gefühle, im negativen wie im positiven, in der wahnhaften Eifersucht wie in der reinen Liebe, welche die Spannung der Geschichte ausmachen und die Spannungskurve bestimmen. Ein Thema, ein Erleben, das im wahrsten Sinne des Wortes „zeitlos“ ist und in dem der Strang der Zeit nicht unumkehrbar gnadenlos nur in eine Richtung voranschreitet, sondern in dem sich auch wiederfinden kann, was sich verloren hat. Verhärtungen können sich auch wieder lösen, wie schon Paulus wusste mit seiner Trias aus „Glaube, Hoffnung und Liebe“. Von denen die Liebe die größte Macht ist, aber auch das zerstörerischste Potential zu besitzen scheint. So sind „Der weite Raum der Zeit“ und „Das Wintermärchen“ eben auch Geschichten über persönliche Reifungsprozesse, welche die Zeit selber immer wieder anbietet (und sei es auch auf verschlungenen Wegen). Ein „Grundthema“ des Menschen, das Winterson kongenial in Inhalt und sprachlicher Kraft von Shakespeare übernimmt, aufnimmt und für die moderne Zeit neu erzählt. Und das für Winterson autobiographische Bedeutung hat, was vielleicht die Intensität gerade für das Bild der „ausgesetzten“ (ausgestoßenen) Tochter zutrifft. Ein altes Thema, ein Grundthema des Menschen, ein Kaleidoskop von Gefühlen und der Macht und Kraft der Liebe in alle Richtungen, das nicht wieder, sondern immer modern sein wird und von Winterson sehr dicht und wunderbar zu lesen neu adaptiert wird.

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