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Rezension zu
Ich war Hitlerjunge Salomon

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein beeindruckendes, tief bewegendes Buch

Von: Buntes Tintenfässchen
21.08.2016

Ich war Hitlerjunge Salomon ist die außergewöhnliche, stellenweise unglaubliche und beinahe fantastische Geschichte eines Jungen, der einzig dank seines Instinkts den Holocaust überlebte und den ein Satz seiner Mutter stets dazu trieb, nicht aufzugeben: Du sollst leben! Ich habe schon viele Tatsachenberichte, Biografien und Romane zum Thema Holocaust gelesen und all diese Schicksale sind bewegend, berührend und so unendlich traurig. Das ist auch Sallys Schicksal, aber es ist anders. So anders, dass es die eigene Vorstellungskraft stellenweise übersteigt. Denn dem jüdischen Jungen Salomon Perel, geboren im westdeutschen Peine und kurz vor Kriegsausbruch mit seiner Familie nach Lodz geflohen, gelingt eine unglaubliche Farce, die er während der Kriegsjahre zum Äußersten treibt und dabei durchgehend einen Schutzengel an seiner Seite hat. Sally gerät nämlich mit 14 Jahren während seiner Flucht in Richtung Osten in eine Kontrolle durch die Deutschen und steht damit schon an der Schwelle zum Tod. Im letzten Moment lässt er seine jüdischen Papiere verschwinden und gibt sich dreist als Deutscher aus. Und damit nimmt das Wunder seinen Lauf, denn man glaubt Salomon, der sich kurzerhand in Josef alias Jupp Perjell umbenennt, stellt ihm deutsche Papiere aus, setzt ihn an der Front als Dolmetscher ein und schickt ihn schließlich in die HJ-Schule nach Braunschweig. Sallys Erlebnisse sind einzigartig und beeindruckend und man muss sich während des Lesens immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass das kein Roman, sondern wirklich so passiert ist. Sally alias Josef muss sich neu erfinden, um zu überleben. Seine jüdische Identität verdrängt er zugunsten der des braven und dem Führer treu ergebenen Hitlerjungen Josef. Und das ist harter Tobak. Sowohl für Sally, wie man beim Lesen ganz deutlich spürt, als auch für den Leser. Sallys innerer Konflikt ist schlimmer als alles, was man sich vorstellen kann. Er, der Jude, der von den Nazis aus seiner Heimat vertrieben wurde, dessen Eltern im Ghetto von Lodz dahinsiechen und dessen ganze Glaubensgemeinschaft ausgerottet werden soll, lebt mehr als fünf Jahre lang mitten unter den Mördern. Und mehr noch: Er muss dazugehören, bei jeder Gelegenheit den Nazigruß demonstrieren, die verqueren Ideologien des Regimes im Unterricht in sich aufnehmen und auf der Seite der Mörder an der Front kämpfen. Man fragt sich, wie ein Teenager das aushalten konnte. Und das fragt er sich auch immer wieder selbst. Sally ist Jude und doch wird er in Braunschweig zum Hitlerjungen erzogen. Das geht nicht spurlos an ihm vorbei und als Leser ertappt man sich ab und an dabei, wie man auch ihn verurteilt. Aber dann wird einem klar, dass Sally nur versucht hat, zu überleben und dass sich seine Lügengeschichte verselbständigt hat und schließlich derart grotesk wurde, dass er selbst es kaum glauben konnte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was in Sally bzw. Josef vorgegangen sein muss, wie es für ihn gewesen sein muss, jeden Tag in Angst zu leben. Angst davor, entdeckt zu werden. Und Angst davor, dass seine Eltern längst tot sein und er mitschuld sein könnte. Befremdlich wirkt ab und an die Art und Weise, wie Sally über ehemalige Kameraden und Vorgesetzte spricht. Er als jüdischer Flüchtling versucht, in ihnen die Monster zu sehen, die sie eigentlich sein müssten, und doch gelingt ihm das nicht so recht. An einige überzeugte Nazis erinnert sich Sally sogar mit einer Art Wehmut oder Nostalgie und das will einem einfach nicht in den Kopf. Sally Perels Geschichte löst beim Lesen auf jeden Fall widersprüchliche Gefühle aus. Man bewundert ihn für seine Ruhe, seine Stärke, seinen puren Willen, zu überleben. Aber man möchte ihn auch verachten. Ich hatte den Eindruck, er erzählt seine Geschichte in diesem Buch sehr ehrlich und lässt nichts aus. Und doch stießen mir einige Aussagen bitter auf. Gegen Ende schreibt er etwa, dass er in der HJ-Schule drei Jahre lang gepredigt bekam, die Juden müssten ausgerottet werden, um das Überleben der deutschen Rasse zu sichern, dass er aber nichts von den Konzentrations- und Todeslagern gewusst habe. Dass er nichts geahnt habe. Man fragt sich: Wie kann das sein? Stellt sich Sally Perel damit auf die Seite der unzähligen Deutschen, die nach Kriegsende alle nichts gewusst haben wollen und kann sich einfach nicht eingestehen, dass er vor der Wahrheit die Augen verschlossen hat? Oder kann es tatsächlich stimmen, dass er nie etwas ahnte - aber wie kann das sein? Sallys Erlebnisse haben mich auf jeden Fall aufgewühlt. Ich bewundere es, dass er so offen mit seiner unglaublichen Geschichte umgeht - was sicherlich nicht einfach für ihn ist. Das Buch liest sich auf jeden Fall, als hätte er es sich einfach von der Seele geschrieben. Man stellt sich vor, dass die Erinnerungen nur so aus ihm herausflossen, die Emotionen ihn (und definitiv auch den Leser) währenddessen überwältigten. Diesen Eindruck bestätigt auch die Tatsache, dass das Buch nicht in Kapitel gegliedert ist - es ist ein einziges Kapitel, ein dunkles, verwirrendes Kapitel im Leben eines Mannes. Das Ganze wirkt authentisch, auch durch die eingewobenen Rückblenden und Ausblicke - als wären sie Sally während des Schreibens plötzlich in den Sinn gekommen. Leider sind die fehlende Gliederung und eben diese Rückblenden und Vorschauen auch die Schwachstellen der Autobiografie, denn so verliert man als Leser manchmal den Faden und den Überblick. Zumindest ein grober Hinweis auf die Jahreszahlen wäre sinnvoll gewesen, um der Geschichte eine gut nachvollziehbare Aufteilung zu geben. Eines steht aber fest: Vermutlich besser als jeder andere weiß Salomon Perel, was gezielte Gehirnwäsche und der Wunsch, dazuzugehören, bei Jugendlichen bewirken können. Und vieles von dem, was er berichtet (vor allem was seinen inneren Zwiespalt angeht) ist jetzt so aktuell wie nie. Einer seiner Sätze ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben und hat mich schwer schlucken lassen. Darüber sollten viele Menschen nachdenken! "Die Jugend von heute ist nicht verantwortlich für die Greueltaten [sic] der Nazis, aber sie wird es sein, wenn es wieder zu solchen kommt." (S. 241) Mein Fazit: Die Geschichte des jüdischen Hitlerjungen Sally Perel ist eine sehr bewegende, eindrucksvolle und kontroverse. Sie erzählt von dem wundersamen Überleben eines entschlossenen Jungen und schildert den Holocaust aus einer völlig anderen Perspektive. Es ist eine wichtige Geschichte, die in jeder Schule gelesen werden sollte. Nur der Schreibstil hat mich leider nicht völlig überzeugt. Ansonsten unglaublich gut!

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