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Rezension zu
Libellen im Kopf

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein ehrliches Buch

Von: Nela
26.11.2016

»Dieses Gefühl wird nicht ewig dauern, aber genau das ist Teil seiner unfassbaren, schimmernden Schönheit. Der Absturz ist unvermeidbar, doch er gehört dem Morgen oder dem Übermorgen. Mit dem Heute hat er nichts zu tun.« (S. 156) Erster Satz: Simons Wohnung war ein Spiegelbild unserer eigenen. Verlagstext: Das Leben hat seine Höhen und Tiefen. Die Kunst ist es, das eine vom anderen zu unterscheiden. Alles begann, wie es manchmal eben so ist, mit einem toten Mann. Er war ein Nachbar – niemand, den Abby gut kannte, dennoch: Einen Verstorbenen zu finden, wenn man sich nur gerade eine Dose Tomaten fürs Abendessen ausleihen möchte, ist doch ein bisschen schockierend. Oder sollte es jedenfalls sein. Zu ihrem eigenen Erstaunen ist Abby von dem Ereignis zunächst seltsam ungerührt, aber nach diesem Mittwochabend gerät das fragile Gleichgewicht ihres Lebens immer mehr ins Wanken, und Abby scheint nichts dagegen unternehmen zu können … Meine Meinung: Dieses Buch war für mich eine riesige Überraschung, bin ich doch völlig unvoreingenommen und unvorbereitet daran gegangen. Einzig den Klappentext und den Titel habe ich mir angeschaut und so spontan entschieden „Ja, das lese ich!“. Aus diesen spärlichen Informationen konnte ich mir nicht erschliessen, um was für ein spannendes und wichtiges Thema es in diesem Buch geht. Und wie wertvoll es schlussendlich auch für mich persönlich und meine Arbeit werden würde. Abby ist Mitte zwanzig und arbeitet als freie Journalistin. Sie lebt zusammen mit Beck, ihrem Freund, in einer kleinen Wohnung in London. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist gut, das zu ihrem Vater und ihrer Schwester hingegen eher weniger. Ihr Vater hat die Familie früh verlassen, um mit einem jüngeren Model zusammen zu leben und wie aus Abbys Schilderungen hervorgeht, hat er auch ihre Schwester Fran immer bevorzugt behandelt. Eigentlich verläuft Abbys Leben in geordneten Bahnen und sie ist glücklich, wären da nicht die Libellen in ihrem Kopf, die immer mal wieder raus wollen, um sich auszutoben. Als Abby dann ihren Nachbarn Simon tot in dessen Wohnung vorfindet, bahnt sich scheinbar eine erneute manische Episode an. Sie kann nicht mehr schlafen, begibt sich auf kreative Höhenflüge, steigert sich in Ideen rein, wirft ihr Geld zum Fenster hinaus (z.Bsp. in dem sie sich ein überteuertes Designerkleid gönnt und damit durch die Stadt spaziert) und steuert zielsicher auf eine Katastrophe zu. Als sie dann in einem Hotelzimmer schreiend zusammenbricht, gibt es nur noch einen Ausweg: die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Sehr einfühlsam und authentisch, aber auch ziemlich unverblümt beschreibt Gavin Extence, wie es ist, wenn die Libellen im Kopf das Ruder übernehmen. Der Roman ist aus der Sicht von Abby erzählt und so wird es möglich einen unverfälschten Blick in ihrem Kopf, in ihre Gedanken zu werfen. Das lässt einen so manches Mal den Kopf schütteln oder schmunzeln, meist fühlt man sich aber auch einfach nur betroffen. Denn Abby kommt aus manchen dieser Gedankenspiralen einfach nicht heraus und da nützt es ihr auch nichts, dass sie Beck an ihrer Seite weiss, der bereit ist, all das mit ihr durchzustehen. »Ich liebe dich immer noch. Ich vermisse dich immer noch. Aber ich bin nicht mehr sicher, ob das genug ist.« (S.226) Wer sich mit dem Krankheitsbild der Depression bereits ein bisschen auseinandergesetzt hat, weiss, wie tief das Loch ist, in das man fällt. Und dass man sich alleine fühlt, auch wenn man Menschen um sich herum hat. Selbstmordgedanken und auch Selbstverletzungen sind da nicht an den Haaren herbeigezogen. »[…] Ich hätte da sein können. Hätte das die Sache nicht irgendwie leichter gemacht?« »Ich wäre trotzdem alleine gewesen.« (S. 248) Aber auch auf die manische Seite wird ein unverfälschter Blick geworfen und gezeigt, wie angetrieben und ruhelos Abbys Geist in diesen Phasen ist. Zwar befindet sie sich in einem kreativen Hoch, den Preis, den sie dafür bezahlt ist allerdings hoch. Die Schlafstörungen sind nur ein Teil davon. Ganz oft ging mir durch den Kopf, wie nahe dieser Gefühlszustand doch jenem euphorischen Hochgefühl eines Drogentrips ist. Abby fühlt sich unantastbar, ist ohne jegliche Selbstzweifel und richtig kreativ. Aber sie weiss, dass je höher ihr Flug ist, umso tiefer ihr Fall sein wird. »Ich bin nicht mehr länger Abby, ich bin Alice, die in das Kaninchenloch purzelt und nicht mehr weiss, wo oben und unten ist oder rechts und links.« (S. 156) In diesem Roman wird der Leser oft mit starken Gefühlen und seelischen Schmerzen konfrontiert, aber Gavin Extence schafft es aufgrund seiner Mischung aus Authentizität und Humor, diese doch sehr aufwühlende und manchmal auch tragische Geschichte gerade nicht so wirken zu lassen. Das Buch bleibt bis zum Schluss absolut echt und nachvollziehbar in den Beschreibungen. Natürlich regt dieses Buch auch zum Nachdenken an. Ich fühlte mich ganz oft an meine Arbeit erinnert und fand in den Beschreibungen der Gefühlszustände von Himmelhochjauchzend bis zu Todebetrübt eine Person von der Arbeit wieder. Ganz oft fühlte ich mich an sie erinnert und sagte mir in Gedanken „Dieses Verhalten zeigt sie auch.“ Ich empfinde dieses Buch als sehr wertvoll, da es auf eine angenehme und teilweise auch lustige Art über psychische Störungen aufklärt und somit ein Thema ans Licht holt, dass leider noch viel zu oft in einer dunklen Ecke verstaubt. Psychische Probleme sieht man den Betroffenen halt nicht an, manche sitzen nach wie vor im Supermarkt an der Kasse oder servieren dir deinen Nachmittagskaffee. Aber dennoch sind diese Erkrankungen da und verändern Wesenszüge. Im Nachwort erfährt man dann noch einige spannende Details aus dem Leben des Autors, die die Entstehung dieses eindringlichen Buches erklären. So ist Gavin Extence selbst betroffen von einer bipolaren Störung. Dennoch ist dieses Buch nicht autobriographisch, aber dieser Umstand erklärt doch den intensiven und sehr authentischen Blick in die Gefühlswelt und das Innenleben der Protagonistin. Zum Schluss möchte ich noch etwas auf die äusserliche Form des Buches eingehen. Das Cover hat mich sehr angesprochen. Und im nach hinein empfinde ich den Leuchtturm als sehr passendes Symbol für das Thema, welches der Geschichte zugrunde liegt. Auch den deutschen Titel finde ich um einiges passender als den englischsprachigen („The Mirror World of Melody Black“), beschreiben die Libellen im Kopf die Krankheit doch sehr passend. Die Spiegelwelt findet zwar auch ihren Platz im Buch, jedoch nur im letzten Drittel der Geschichte und als sehr abstrakte Theorie. Fazit „Libellen im Kopf“ ist eine absolute Leseempfehlung meinerseits. Es ist ein authentisches und ehrliches Buch, dass mit einer guten Prise Humor und absolut ohne Mitleid über ein Thema berichtet, dass nach wie vor für viele ein Tabu darstellt.

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