Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Das Buch der Spiegel

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Meisterhafter Irrgarten

Von: Michael Lehmann-Pape
27.02.2017

Es ist eine Liebesgeschichte zwischen zwei Studenten, die zufällig für eine Weile im gleichen Haus logieren. Richard weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als Laura ihn „erwählt“. „Die nächsten Wochen waren die glücklichsten meines Lebens“, schreibt er zumindest in jenem Manuskript nieder, welches einen Literaturagenten hochgradig in Erstaune versetzt. Wobei das Manuskript leider unvollständig ist, so dass ein privater Ermittler beauftragt wird, in Richards Leben zu stöbern und den fehlenden Rest des Buches zu finden. Richard Flynn selber kann leider nicht helfen, er ist an einem aggressiven Krebs verstorben. Doch bis zuletzt hat er an dieser Laura innerlich festgehalten, zum Bedauern seiner späteren Ehefrau. Doch vielleicht täuscht Richard sich. Oder täuscht die anderen, die Leser, den Agenten. Denn Laura hat diese Zeit ganz anders in Erinnerung. Und Timothy Saunders sieht das ebenfalls anders. Würde es zumindest, wenn er nicht auch in der Gegenwart des Romans bereits ebenfalls verstorben wäre. Denn er war der Lebensgefährte Lauras zu jener Zeit. Und nicht Flynn. Sagt man. Und sagt Laura. Später, zum privaten Ermittler. Somit ist es vielleicht gar keine Liebesgeschichte, sondern ein reiner Kriminalroman. Interessant wäre, zu hören, was Professor Joseph Wieder dazu zu sagen hätte. Zu dessen Haus Laura einen Schlüssel besitzt. Die als Studentin dem Mann hilft bei seinem Opus Magnum. Doch Wieder hat auch den Ruf eines Frauenhelden. Aber auch Wieder kann keine Auskunft mehr geben, er wurde in jenen Tagen ermordet, erschlagen, als Richard Flynn seine Bibliothek ordnen sollte, als Laura ihm beim Buch assistierte, als Flynn eine große Liebe erlebt haben wollte, als Saunders aus Europa zurückkehrte und als Derek Simmon, vermeintlicher Mörder der eigenen Frau und Patient, später Faktotum des Professors, noch regelmäßig unverhofft im Haus des Gelehrten auftauchte. Wobei, so klar ist das wieder nicht mit dem Mord. Denn es könnte sein, dass der Professor noch lebte, als der Schläger von ihm abließ und er erst durch unterlassene Hilfeleistung des letzten „Besuchers“ seines Hauses endgültig starb. So ist dies eine vermeintliche oder tatsächliche Liebesgeschichte (je nachdem, aus wessen Warte man dies betrachtet), oder auch ein Kriminalroman über einen bis heute unaufgeklärten Mord. Oder die Geschichte eines möglichen Bestsellers. Denn jene drei Personen, aus deren Sicht das Buch unmittelbar jeweils in der Ich-Form erzählt, suchen zuallererst ja den Rest des Manuskriptes, wenn auch aus verschiedenen Motiven heraus. Und wenn man dann noch dazu nimmt, das wohl keiner der Befragten im Buch die reine Wahrheit sagt, sondern entweder standfest lügt oder zumindest eine sehr subjektive Wahrnehmung der Ereignisse mit sich trägt, wenn man dann noch dazu nimmt, das jene Laura später eine wissenschaftliche Karriere hinlegte auf Basis eines von ihr veröffentlichten Werkes (welches sinnigerweise die „Erinnerung“ des Menschen zum Thema hat), bei dem die Rolle Professor Wieders lange nicht ganz geklärt werden wird, dann befindet sich der Leser umgehend in einem Spiegellabyrinth, das seinesgleichen in der Literatur sucht. Hinter jeder vermeintlichen Erkenntnis wartet beileibe in erster Linie nicht eine Aufklärung, sondern neue Irrwege. Jede Aussage, jede Recherche ergibt in sich Sinn und dann, im Spiegel der Worte der andern, löst sich alles wieder in neue, möglich Fäden auf. Bis zum Schluss hin, bei dem deutlich werden wird, dass die Wurzeln für all das Geschehen in und um das Haus des Professors herum viel weiter zurückreichen, als man es als Leser bei der Lektüre je vermutet hätte. Dabei ist die Lektüre auch rein sprachlich bereits eine wahre Freude. Ruhig, klar, mit Hintersinn und großem Sprachschatz bringt Chirovici mit Tempo die Geschichte voran, fügt ein wenig Mysterie hinzu im Blick auf das Unglück, das wohl alle befällt, die mit diesem Mord und der manipulativen Kraft Joseph Wieders zu tun hatten (bis zu den Ermittlern in der Gegenwart). Dabei wechselt das Werk flüssig die Perspektiven und verwirrt den Leser ein um das andere Mal mehr. „Alle hatten sich geirrt und durch die Fenster, in die sie zu spähen versuchten und die sich am Ende als Spiegel herausstellten, nur immer sich selbst und ihre eigenen Obsessionen gesehen“. Und diese für die eigenen Zwecke benutzt oder gar, faszinierenderweise, tatsächlich je für wahr gehalten, was die eigenen Augen nur sehen wollten. Eine anregende und hervorragende Lektüre.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.