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Rezension zu
Ivy und Abe

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Elizabeth Enfield - IVY & Abe

Von: literallysabrina
03.10.2017

Schon bevor ich das Buch aufschlug, wurde ich vom Buchcover in den Bann gezogen. Die beiden Protagonisten des Buches im Scherenschnitt, umhüllt von zahlreichen Herzen in schillernden Farben – es lässt Erwartungen entstehen und zeigt dem Leser, ohne eine Seite des Romans gelesen zu haben, wohin die Reise geht. Bevor das Buch bei mir einzog, habe ich von anderen Bloggern gehört, man solle vor der Lektüre das kleine Gespräch von Enfield im Innenteil der Klappbroschur lesen, denn so verstünde man Enfields Intention hinter dem Roman. Gesagt, getan. Und doch muss ich gestehen, dass mir diese Information nur bedingt weitergeholfen hat. Ich habe zwar schon nach dem zweiten Zeitsprung (kein Spoiler) realisiert, dass es sich um eine Aneinanderreihung von alternativen Lebensverläufen mit unterschiedlichen Zeitpunkten und Umständen des Aufeinandertreffens der Protagonisten handelt (auch das ist kein Spoiler), doch selbst nach Beendigung des Buches muss ich einräumen, dass ich lange über den Roman nachdenken und die unterschiedlichen Informationen zusammenpuzzlen musste, damit der Roman letztendlich für mich einen Sinn ergab. Doch beginnen wir mit den positiven Dingen. Positiv aufgefallen ist mir gleich zu Beginn des Romans der Schreibstil der Autorin. Der Roman lässt sich von der ersten bis zur letzten Seite flüssig lesen, Enfield schreibt ansprechend und ausführlich, man erhält einen Eindruck der Charaktere und entwickelt Sympathien und fühlt mit den Protagonisten in den unterschiedlichen Lebenslagen – oder eben auch nicht, aber dazu später. Weiterhin – und das ist m.E. auch leider der letzte positive Aspekt des Romans – ist die Intention hinter Enfields Roman sehr charmant. Man beginnt im Jahr 2026 – Ivy und Abe sind beide hier bereits über 70 Jahre – und erlebt das zufällige Zusammentreffen der beiden Freunde aus Kindheitstagen beim Einkaufen im Supermarkt. Die weiteren Kapitel enthalten Zeitsprünge zu Zeitpunkten, die Szenarien durchspielen, was hätte passieren können, hätten sich Ivy und Abe zu jenem Zeitpunkt getroffen. Diese Zeitsprünge sind demnach rückwärts chronologisch. Und der Konjunktiv verrät, dass es ausschließlich ein Gedankenspiel Ivy’s ist, denn – so habe ich zumindest den Roman verstanden – die einzige real existierende Tatsache (wenn man das bei einer fiktiven Geschichte überhaupt so nennen sollte), die dieser Geschichte innewohnt, ist die zufällige Begegnung beider Protagonisten im Supermarkt und die Tatsache, dass sie sich aus Kindheitstagen kennen, quasi Sandkastenfreunde sind. Alles andere ist ein „Was-wäre-wenn“-Szenario. Die Idee dahinter gefällt mir sehr gut. Ich habe bereits angesprochen, dass Enfield ihre Charaktere lebhaft und ausführlich beschreibt, sodass man sich vor allem Ivy – da der Roman aus ihrer Sicht geschrieben ist – bildhaft vorstellen kann. Doch leider konnte ich den ganzen Roman hindurch keine Beziehung zu Ivy (und auch leider nicht zu Abe) aufbauen. Die entworfenen Charaktere haben mich bedauerlicherweise mehr genervt als alles andere. Man kennt es vermutlich von Geburtstagen und anderen Zusammentreffen der eigenen Verwandschaft – mit zunehmenden Alter wird verstärkt über Krankheiten und andere Weh-Wehchen geklagt und genau dies tut Ivy auch, von der ersten Seite an. Den Roman mit dieser Eigenschaft zu beginnen – auch, wenn sie vermutlich unweigerlich mit dem Alter der Protagonistin zusammenhängt und wahrscheinlich authentisch wirkt – ist in meinen Augen kein kluger Schachzug. Auch, wenn Ivy’s Persönlichkeit ein Gendefekt anhaftet, ist es meiner Meinung nach unglücklich gewählt, Ivy derart wehleidig, ja schon verbittert, zu skizzieren. Das lässt dem Roman eine, ich möchte schon fast sagen unangemessen melancholische Note anhaften und diese traurige Stimmung trägt sich durch den kompletten Roman. Das ist schade, zeitweise war es für mich tatsächlich schwer, weiterzulesen. Auch die Tatsache, dass sich Ivy im ersten Kapitel über einen dreißigjährigen Schwimmbadbesucher amüsiert, ihn mit der Rotdrossel-Geschichte ja schon nahezu bloßstellt, finde ich völlig daneben. Ebenso Aussagen wie „Gelegentlich las ich solche Dinge, Geschichten über Menschen, die mithilfe sozialer Medien Leute aus ihrer Vergangenheit aufspürten, weil sie meinten, sie würden in ihr heutiges Leben passen“ (17f.) verfehlen meiner Auffassung nach ihre Wirkung, denn für mich sind sie nur Indikator dafür, wie unglücklich und verbittert Ivy in ihrem Leben ist. Auch die Tatsache, dass sie sich in jeder erdenklichen Situation unangemessen häufig entschuldigt, resultiert daraus. Während ich gerade meine Notizen und markierten Textstellen durchgehe, fällt mir auf, dass ich an keiner Stelle auf Abe verwiesen habe, keine einzige Bemerkung zu ihm notiert habe. Das verdeutlicht vielleicht noch einmal mehr, wie Ivys Bitterkeit für mich den kompletten Roman überschattet und jeder Seite, jedem Kapitel anhaftet, sodass ich gar nicht wirklich auf die anderen Charaktere im Roman geachtet habe, um mir ein genaueres Bild ihrer Persönlichkeit zu machen. Tatsächlich könnte ich noch eine Handvoll weiterer Textstellen anführen, die verdeutlichen, was mich an Ivys Charakter stört, doch bedauerlicherweise nicht eine Textstelle, die Abe abbildet, nicht einmal in seinen positiven Eigenschaften. Irgendwie schade, verweist der Titel des Buches doch auf zwei Protagonisten. Fazit: Enfield selbst schreibt in der Klappbroschur über den Roman, dass er die Zufälligkeit des Lebens verhandelt. Das ist ihr meiner Meinung nach hervorragend gelungen. Im Nachhinein habe ich lange darüber nachgedacht, inwiefern Ivys (und auch Abes) Leben anders verlaufen wäre, hätten sich ihre Wege im Kindesalter nicht getrennt oder wären sie sich nicht mit über 70 Jahren im Supermarkt begegnet, sondern zu einem der „Was-wäre-wenn“-Zeitpunkten. Wäre es dennoch zu der Begegnung im Alter gekommen? Wären sie noch ein Paar? Aber auch: Wie sind die unterschiedlichen Begegnungen zu bewerten? Kann man sagen, etwas verpasst zu haben, wenn man seiner Sandkastenliebe erst im Alter wiederbegegnet? Führt man – so wie es Ivy macht – diese Gedankenexperimente durch und fühlt sich letztendlich der großen Momente des Lebens, die man eben nicht mit dieser Person erleben konnte, beraubt oder sagt man sich, dass man sich nicht sicher sein kann, dass es funktioniert und ein Leben lang harmonisiert hätte? Hätte, hätte, hätte. Es regt in jedem Fall zum Nachdenken an. Abschließend soll vielleicht noch einmal gesagt sein, dass meine anfänglichen Erwartungen an den Roman aufgrund des verwirrenden Klappentextes zwar nicht erfüllt werden konnten, dies aber auf keinen Fall bedeutet, dass dies kein guter Roman sei. Gewiss nicht. Fernab des unglücklich formulierten Klappentextes und der Tatsache, dass man zuvor den Innenteil der Klappbroschur lesen sollte, um nicht völlig unvorbereitet und verwirrt durch den Roman zu geistern (da hätte ich mir gewünscht, dass der Leser im Roman selbst an die Hand genommen und geleitet wird), ist IVY & ABE ein schöner Roman, der einen über die Zufälligkeit des Lebens, die sich nicht nur in Begegnungen, sondern auch in persönlichen Schicksalen wiederspiegelt, nachdenken lässt. Und um diesen Prozess in Gang zu setzen, ist die melancholische Stimmung, die dieser Roman freisetzt, tatsächlich passend – auch wenn diese Melancholie meiner Auffassung nach ein wenig besser dosiert hätte werden müssen.

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