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Rezension zu
Ein wilder Schwan

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Abgedrehte, aber auch voller Gefühle und Innovationen steckende Märchen-Neuinterpretation mit wunderschönen Illustrationen.

Von: Wolfgang Brunner - Buchwelten
16.02.2018

Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel, Schneewittchen und Rapunzel – wer kennt diese Märchen nicht? Aber Michael Cunningham erzählt sie nun vollkommen anders, berichtet über die Hintergründe jener Geschichten und schreibt Prequels und Sequels. Und nicht immer ganz jugendfrei … . Bei diesen Märchen-Neuinterpretationen scheiden sich wohl die Geister, wenn man sich verschiedene Rezensionen durchliest. Die einen sind hellauf begeistert, wozu ich mich zähle, und die anderen finden Cunninghams Geschichten langweilig und uninspiriert. Cunninghams Schreibstil ist gewohnt hoch und er kann mit seinen Gedanken, die oftmals zum Nachdenken anregen, schlichtweg verzaubern. Doch der Autor, dessen Meisterwerke wie „The Hours – Die Stunden“ oder „Ein Zuhause am Ende der Welt“ noch nach Jahren im Gedächtnis des Lesers haften bleiben, nimmt den Märchen an manchen Stellen die Mystik, in dem er etwas derb den Plot in unsere Wirklichkeit verlegt. Das funktioniert aus meiner Sicht unglaublich gut, kommt aber anscheinend bei anderen Lesern nicht so gut an. Michael Cunningham „spielt“ mit den bekannten Märchen, erzählt eine Vor- und/oder Nachgeschichte und passt die Charaktere der Realität an, verbannt sie sozusagen aus der Märchenwelt, wie wir sie kennen. Das ist zum einen erfrischend, zum anderen aber auch sehr geschickt verändert, so dass man in manchen Geschichten unsere Wirklichkeit wiedererkennt. Michael Cunningham kann Geschichten erzählen, das hat er mit vielen Romanen mehrfach bewiesen. In „Ein wilder Schwan“ traut er sich einfach mal etwas anderes, geht über seine Grenzen hinaus und wird hin und wieder sogar lynchesk „abgedreht“. Das ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache, aber wenn man sich auf die Ideen einlassen kann, wird man mit einem ironischen, augenzwinkernden Blick in unsere echte Welt belohnt, der zeigt, wie aktuell „alte“, klassische Märchen sein können. Cunningham geht oft auf die menschliche, emotionale Seite der Protagonisten ein, die in den Originalen oftmals fehlen. Er zeigt, dass sich hinter den Märchenwesen echte Menschen und Charaktere verstecken könnten, so dass man den verklärten Blick auf eine Märchenwelt manchmal vergisst und darüber nachdenkt, ob die Inspirationen, aus denen diese Geschichten einst wurden, vielleicht sogar ihren Anfang in einer wahren Begebenheit fanden. Cunningham nimmt den Märchen ihren Zauber, das ist keine Frage, aber er verleiht ihnen eine neue Art von Zauber, der so manches Mal sogar beeindruckender ist als der der Originale. Aber man muss sich, wie gesagt, darauf einlassen können und die Sprache des Autors verstehen. Abgesehen von der wirklich tollen Aufmachung des kleinen Bandes werden die sprachlich raffinierten Geschichten von wunderbaren Illustrationen der japanischen Künstlerin Yuko Shimizu unterstrichen, die sich perfekt an die Erzählungen anpassen. Ein wenig erinnern ihre schwarzweißen Zeichnungen an den hierzulande relativ unbekannten Künstler Aubrey Beardsley. Ich habe diese Illustrationen jedes Mal ein paar Minuten auf mich einwirken lassen, weil sie mich zum einen stark beeindruckt und zum anderen den „Geist“ von Cunninghams Märcheninterpretation hervorragend ergänzt haben. Diese Symbiose aus Text und (Bilder)Kunst gibt dem Buch eine ganz besondere Note, die man nicht so schnell vergisst. Die aus einer anderen Sichtweise erzählten Märchen haben mich mal mehr und mal weniger begeistert, im Gesamten aber vollkommen in den Bann gezogen. Und wer behauptet, dass sich zwischen den Zeilen keine Gefühle und Sehnsüchte verbergen, der hat Cunninghams Arbeit (und Anliegen) wohl nicht verstanden. „Ein wilder Schwan“ ist nämlich keine leichte Kost zum Zwischendurchlesen (oder gar oberflächlichem „Konsumieren“), sondern fordert ein wenig Feingefühl (trotz der manchmal derben Ausdrücke) und literarische Empathie. Für mich zeigt dieser Band erneut das Können dieses Schriftstellers, wenngleich auf eine völlig andere Art als seine bisherigen Bücher. . Fazit: Abgedrehte, aber auch voller Gefühle und Innovationen steckende Märchen-Neuinterpretation mit wunderschönen Illustrationen. © 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

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