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Thomas Elbel: Der Todesmeister

Thomas Elbel im Interview zu seinem Roman »Der Todesmeister«

Wussten Sie, dass Thomas Elbel sich auch gerne mal auf dem Friedhof zu Geschichten inspirieren lässt?

Eine kurze Biografie:
Ich bin 1968 in Marburg zur Welt gekommen, wo sich meine Eltern beim Jurastudium kennengelernt haben. Mein Hauptberuf war mir also beidseitig in die Wiege gelegt. Tatsächlich waren Strafakten – meine Mutter war Richterin, mein Vater Staatsanwalt – häufig Tischgespräch, sodass ich mich schon als Teenager mit recht exotischen Fragestellungen konfrontiert sah, zum Beispiel wie viel Schaden eine Schrotflinte in einem Gesicht verursachen kann, wenn sie aus einem Meter Entfernung abgefeuert wird.

Ansonsten war meine Kindheit sehr beschaulich. Niedersächsische Kleinstadt, kirchliches Gymnasium, Theater AG, Schülerkneipe. Die eine Disco, wo du die ganze Stadt triffst. Im Sommer Schwimmen im Baggersee, Schlittschuhlaufen im Winter. Aber irgendwo in unserer Umgebung passierten sie ... diese bösen Geschichten, die dann irgendwann auf den Schreibtischen meiner Eltern landeten.

Ich glaube David Lynch, der Regisseur von Twin Peaks hat einmal gesagt, der Cherry Pie, der in der Serie immer wieder auftaucht, sei eine Metapher für die Provinz, in der die Serie spielt: Einladend knusprig-glatte Oberfläche, aber darunter ein dunkler, schleimiger Sumpf. Auch wenn ich diesen verborgenen Orkus in meiner Kindheit nur im Spiegel der Akten meiner Eltern erkennen konnte, wusste ich, dass er irgendwo dort unter der sichtbaren Oberfläche kleinstädtischer Beschaulichkeit lauerte.

Noch heute ertappe ich mich dabei, wie ich manchmal stehenbleibe, vor einem einsamen Haus vielleicht, und mich frage, ob sich darin das Böse verbirgt.

Würden Sie uns ein wenig über sich erzählen – Ihre Hobbies, Lebenssituation, Ihren Traum vom Glück, was Sie ärgert, welche Gabe Sie gerne besäßen …?
Ehemann, zweifacher Papa, Pendelprofessor, Sänger, Sportjunkie, Kreuzberger. Glück ist, danach streben zu dürfen. Ärgern tut mich, dass es in unserer Gegenwart so untrendy zu sein scheint, zu irgendetwas keine Meinung zu haben. Wenn ich mir eine Gabe wünschen würde, wäre es die Sicherheit, dass aus größerer Anstrengung auch immer ein besseres Ergebnis folgt.

Wie kamen Sie zum Schreiben?
Irgendwie war mir immer klar, dass mir ein normaler Brotberuf nicht ausreichen würde. Umgekehrt war mir genauso klar, dass ich nicht dazu geeignet bin, ausschließlich künstlerisch tätig zu sein. Mein Ziel war also von vornherein ein Leben in zwei Welten. Angefangen habe ich erst mal mit den Paragraphen. Das Wachsenlassen des zweiten Standbeins war dann gar nicht so schwer. Juristen schreiben ja sowieso die ganze Zeit und nicht immer nur Dinge, die der Wirklichkeit entsprechen. Von Anspruchstellern, Beschuldigten und Antragsgegner zu Helden, Böse- und sonstigen Wichten ist der Weg gar nicht so weit, wie man denkt.

Was inspiriert Sie?
Das Leben schreibt Geschichten. Man muss sie nur lesen können. Neulich spazierte ich mit unserem Baby im Kinderwagen auf meinem Lieblingsfriedhof herum und kam dabei an einem Grabstein mit folgender Inschrift vorbei:
„Zum ewigen Gedenken
Helga Kasuffke
geb. 1926
gest. ?“
Ja. Da stand wirklich ein Fragezeichen, und sofort springt meine Fantasie an. Wusste man nur nicht, wann sie gestorben ist oder vielleicht, ob sie überhaupt schon tot ist? Und falls letzteres: Warum? Ist sie vielleicht weggelaufen? Aber vor wem? Denen, die ihr den Grabstein gesetzt haben? Und was liegt eigentlich in dem Grab? Und schon fange ich an, mir Antworten auszudenken, die dann möglicherweise irgendwann in einem Buch landen.

An welchem Buch arbeiten Sie gerade?
Der Todesmeister ist mein erster Krimi. Er spielt im Berlin der Gegenwart. Hauptperson ist Viktor Puppe, der aus sehr persönlichen Gründen seinen Schreibtischjob im Bundesinnenministerium aufgibt und sich in die Mordkommission des LKA einschleust, wo man ihm zwei wirklich ungewöhnliche Kollegen an die Seite stellt. Und dann wird an einer Spreebrücke die Leiche eines jungen Mädchens mit grausamen Folterspuren angetrieben, bei der es sich brisanterweise um die Nichte des amtierenden Justizsenators handelt. Und offensichtlich ist sie nicht das einzige Opfer. Im Internet tauchen Videos auf, in denen andere junge Frauen zu Tode gequält werden. Bald ergibt sich eine Verbindung zwischen der ersten Toten und diesen Filmen und der Druck auf Viktor und seine neuen Kollegen steigt.

Welche Szenen sind am schwierigsten zu schreiben?
Szenen, in denen Verbrechen gezeigt werden, dürfen weder zu melodramatisch noch allzu nüchtern technisch sein. Da ist es echt schwierig, den richtigen Mittelweg zu finden. Und seit ich eigene Kinder habe, fällt es mir zunehmend schwerer, meine Figuren zu quälen, auch wenn es nur fiktiv ist.

Haben Sie eine Lieblingsszene?
Mein Protagonist Viktor Puppe findet sich im LKA mit einem echt schrägen Vogel von Kollegen konfrontiert, einem Punk mit Kommissarsrang sozusagen. Obwohl völlig unterschiedliche Charaktere, finden die beiden schnell eine gemeinsame Humorschiene. Ihre Dialoge haben mir viel Spaß gemacht.

Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Neben meinem Protagonisten, der eine sehr bewegte Vergangenheit hat, und dem besagten Punkkommissar mag ich auch seine türkische Kollegin, die mit sehr viel rauer Schale gesegnet ist und vielleicht irgendwo weichem Kern. Und dann gibt es da noch die Rechtsmedizinerin. Eine schwerreiche Industriellentochter, die ihren düsteren Beruf offensichtlich aus purem Vergnügen ausübt.

Gibt es bestimmte Orte, zu denen Ihr Buch einen besonderen Bezug hat?
Berlin und dort die Hasestraße im Friedrichshain. Wenn es eine geografische Initialzündung zum Todesmeister gab, dann dieser Ort. Ein kleines Sträßlein im Hinterland des Bezirks Friedrichshain, nah an den S-Bahn-Gleisen, die die Stadt in Nord und Süd teilt. Karstig, staubig, einsam. Die Bebauung besteht ausschließlich aus Kleingewerbe, alles hinter mannshohen Mauern verborgen, die wiederum mit Graffiti überkleistert sind. Gottverlassenheit mitten in der Großstadt. „Was könnte sich hinter diesen Mauern wohl alles abspielen?“, fragte ich mich.

Was lesen Sie selber gerne?
Genreliteratur, der man ihr Genre nicht anmerkt. Gerne aber auch Zeitungsartikel im New Yorker. Die Amerikaner verstehen es, aus Nachrichten Geschichten zu machen.

Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Das ist wirklich schwer, aber wenn man mir Daumenschrauben anlegt, würde ich mich wohl vor allen anderen für Franz Kafka entscheiden. Die Art, wie bei ihm das Surreale zur Normalität wird, ist einfach unnachahmlich.

Wer sind Ihre liebsten Romanhelden/-heldinnen?
Simplex aus dem Simplicius Simplicissimus von Grimmelshausen. Seine Welt verwandelt sich in eine Hölle wie aus einem Hieronymus-Bosch-Gemälde, aber er durchwandert sie wie ein unbefangenes Kind.

Möchten Sie uns 3 Bücher für die einsame Insel empfehlen?
Prestige von Christopher Priest, Der Club Dumas von Arturo Perez-Reverte und Der Sündenbock von Daphne du Maurier.

Was ist für Sie die größte Versuchung?
Selbstüberschätzung.

Verraten Sie uns Ihr Lieblingsrezept?
Als ich mal zwei Jahre in den USA gelebt habe, gab es da bei den Take-Away-Chinesen immer diese „Orange Glazed Chicken“-Bällchen in Dutzend verschiedenen Varianten. Süß oder scharf, in Sesam gewälzt oder in Kokosraspeln, mit Huhn, Schwein, Ente oder Tofu. Zu Hause habe ich dann versucht, sie nach Rezept aus dem Internet zu reproduzieren, aber aus meinem Backofen kamen nur Kohlestückchen. Sollte mein Traum, als Schriftsteller reich und berühmt zu werden, sich nicht erfüllen, könnte ich immer noch einen chinesischen Koch aus Amerika entführen und ein Restaurant aufmachen.

Was ist für Sie die optimale Entspannung?
Das Meer.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Vanitas Vanitatum. Bekanntlich ein Zitat der Piraten aus Asterix.

Gibt es eine Person, die Sie persönlich fasziniert?
Meine Frau und meine beiden Söhne.

Welche menschliche Leistung des letzten Jahrhunderts bewundern Sie am meisten?
Der Planet steht ... noch.

Welche Organisation oder welches Projekt würden Sie gerne unterstützen – oder tun dies bereits?
Die NASA.

Fünf Dinge, die wir noch nicht über Sie wissen:
1. Ich hasse Telefonate. Mit Menschen sprechen zu müssen, ohne dabei ihre Gesichter sehen zu können, ist nicht Fortschritt, sondern Strafe.
2. Als Teenager war ich Mitglied der Punkband Die bekifften Bakterien.
3. Mindestens bis zu meiner Volljährigkeit sprach ich das Wort „Couch“ als „Kuhsch“ aus, weil ich dachte, es sei Französisch. Niemand hat mich je korrigiert.
4. Mir wurden schon einmal von einem SEK der Berliner Polizei Handschellen angelegt.
5. Zu guter Letzt: Ich habe eine magische Fähigkeit: Die komplette akustisch-visuelle Ausblendung meiner Umwelt. Sehr hilfreich beim Schreiben („Tschuldigung Schatz. Was hast Du gerade gesagt?“ „Du meinst vor einer Stunde? Da sagte ich, Dein Ältester beschmiert gerade den Fernseher mit Erdbeereis und ob du ihm bitte Einhalt gebieten könntest, während ich den Jüngsten von seinem Schreianfall heile.“ „Ah. Das hatte ich wohl nicht so richtig gehört.“ „Macht nichts. Das Erdbeereis ist inzwischen auf die Stereoanlage weitergetropft. Kein Grund zur Panik. Schreib ruhig weiter.“ „Alles klar. Danke.“).

Ein paar Worte an die Leser?
Liebe Leserinnen und Leser,

mein Kopf ist ein Luftschloss mit tausend Sälen, Kammern und Verliesen, und meine Bücher sind der Versuch, sie zu einer Besichtigung einzuladen. Warten Sie bitte kurz, bis ich die Fackel entzündet habe. Gehen Sie dicht hinter mir. Füttern Sie nicht die Monster, werfen Sie nichts in irgendwelche Brunnen und halten Sie sich die Ohren zu, falls Sie jemand singen hören.

Ihr Thomas Elbel

GENRE