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Rezension zu
Gullivers Reisen

Sozialsatire par excellence

Von: Petrissa
05.11.2018

In dieser Ausgabe vom Manesse Verlag handelt es sich um die Originalausgabe von 1726, die wenig mit der Kindergeschichte zu tun hat. Swift (1667 – 1745) hat ein sehr sozialkritisches Buch geschrieben, dass die Missstände der herrschenden Oberklasse und später der Menschen im Allgemeinen anprangert. Eine Satire der Extraklasse. Gulliver begibt sich viermal auf eine Schiffsreise und jedes mal kommt es zu einem Unglück und er strandet alleine auf einer Insel. Hier erlebt er die unterschiedlichsten Völker, von denen niemand sonst in Gullivers Welt ahnt. Als erstes strandet Gulliver in Lilliput, wo er ein Riese ist. Nachdem er verspricht, sie an alle Gesetze und Paragraphen zu halten, wird er von seinen Fesseln befreit und lernt in Folge die Sprache der Lilliputaner, um sich mit ihnen austauschen zu können. Die Kaiserin von Lilliput steht vermutlich für Königin Anna von Großbritannien, während der Kaiser von Lilliput für König Georg I. steht, den Swift verachtete. In Swifts satirischer Darstellung bekommt der Kaiser von Lilliput all jene Eigenschaften, die König Georg I. nicht besaß. Beeindruckend fand ich, mit welchen subtilen Stilmittel Swift hier seine damalige Regierung anprangerte. So steht Gullivers Leibesvisitation durch die Lilliputaner für die systematischen Hausdurchsuchungen der Whig-Regierung an den Tory-Anhängern. (Beides Parteien im Parlament von Großbritannien zu Swifts Lebezeiten.) Diese ganzen Feinheiten werden einen natürlich nur durch die zahlreichen Fußnoten und Anmerkungen des Verlages deutlich. Erziehung: Gut gefallen hat mir bei den Lilliputanern, dass sie der Ansicht sind, dass Kinder ihren Eltern nicht dankbar sein müssen, da „[...] der Grund, der Mann und Frau dazu bewegt, sich zu vereinigen, ebenso wie bei anderen Tieren auch, die sinnliche Begierde ist und dass die Zärtlichkeit, welche sie ihren Jungen schenken, auf das nämliche Naturgesetz zurückgeht, weshalb sie es auch durchaus abwegig finden, dass ein Kind dem Vater etwa für seine Zeugung dankbar zu sein habe oder seiner Mutter dafür, dass sie es auf die Welt gebracht, weil dies in Anbetracht des mannigfachen Elends in der Menschen Leben weder eine Wohltat an sich bedeutet, noch die Eltern, deren Gedanken bei ihren Liebesvereinigung schließlich auf anderes gerichtet waren, etwa die Absicht hatten, eine solche zu vollbringen.“ So ein Gedanke ist ja heute noch revolutionär. Auch erziehen die Lilliputaner die Mädchen und Jungen (fast) gleich. Generell merkt man im Laufe des Buches allerdings schon, dass auch Swift nur ein Kind seiner Zeit ist und bei Frauen, Dienern und anderen Ethnien die zu seiner Zeit herrschenden Denkmuster hat. Schließlich kommt es auf Lilliput zu einem Vorfall, bei dem Gulliver etwas tut, um das Leben der Königsfamilie zu retten und mit der Art, wie er es tut, gleichzeitig des Königs ganze Wut auf sich zieht. Swift hätte wohl keine bessere Metapher finden können, um seine Verachtung gegen die herrschenden Klasse auszudrücken. Seine zweite Reise führt ihn nach Brobdingnag, ins Land der Riesen. Hier ist Gulliver nicht größer als ein Käfer. Die Geschichte hat mir großen Spaß gemacht, denn es war eine echte Hirnleistung, sich immer wieder die Maße vorzustellen. Das Gefühl, auf etwas hinunter zu schauen, wie in Lilliput, das ist uns vertraut. Aber nach oben zu schauen und selber klein zu sein, ist etwas ganz anderes. Sich vorzustellen, man ist nur ein kleines Tier und kann jederzeit unter den Schuh geraten, empfand ich immer wieder als akrobatisches Hirntraining, was mir aber großes Vergnügen bereitet hat. Hier erklärt Gulliver dem König wie das politische System daheim aufgebaut ist. Der König kann das alles nicht verstehen. „Alsdann begehrte er [der König] zu wissen, was für Kniffe denn bei der Wahl von denen angewendeten würden, die ich die Bürgerlichen nannte. Ob nicht vielleicht ein Fremdling mit prallen Beutel Einfluss auf die einfachen Wähler nehmen könnte, damit sie ihm den Vorzug gäben vor ihrem eigenen Gutsbesitzer oder dem Manne, der in ihrer Gegend das höchste Ansehen genieße, Wie es wohl komme, dass die Leute so ungemein darauf erpicht seien, in diese Ratsversammlung zu gelangen, obwohl die Mitgliedschaft darin einem doch, wie ich selber eingeräumt hätte, nichts als Verdruss und Kosten einbringe[...].“ Hier bedient sich Swift dem stilistischem Mittel, dass Gulliver den König unbedingt davon überzeugen möchte, dass die Politik daheim bei ihm gut ist und der König ihm aber immer widerspricht. Der König ist der Meinung, so ein kleines Hirn kann nichts Großes hervorbringen. Und um so mehr Gulliver versucht den König zu überzeugen, um so mehr scheitert er. Dieses Land hat mir mit dem letzten am Besten gefallen! Reflexion: Das Buch ist nicht leicht zu lesen, das merkt Ihr an meinen Zitaten. Die Sätze sind lang und verschachtelt und man muss sich sehr konzentrieren. Dabei sind Lilliput und das Land der Riesen noch der leichtere Teil. Den dritten Teil fand ich persönlich am schwierigsten. Der vierte Teil hat mich am meisten beeindruckt. Ich werde nicht verraten, was die Besonderheiten dieses Landes sind. Doch dieser Abschnitt hat am deutlichsten gemacht, wie die Menschen sich verhalten, wie sie tief im Inneren ticken. Mit solch einer schonungslosen Ehrlichkeit, dass man nur stumm mit dem Kopf nicken kann. Obwohl es schwer zu lesen ist, hat mir das Buch Spaß gemacht. Ich fand es beeindruckend, mit welchen stilistischen Mitteln Swift etwas sagte, ohne es direkt zu sagen. Er hatte auch einen schöpferischen Einfall, der damals eine Neuerfindung war. Es gibt ein Vorwort, das von einem fiktivem Verleger geschrieben wurde, der sich als Übermittler der Manuskripte ausgab. Viele Menschen glaubten damals, Gulliver gäbe es wirklich und manche behaupteten sogar, ihn zu kennen. Wie Swift an manchen Stellen über „die Weiber“ redete oder über Afrikaner, ist mir schon sehr gegen den Strich gegangen. Zum Glück hielten sich solche Abschnitte in Grenzen. Die Anmerkungen sind Gold wert!! Hier erfährt man nicht nur die Anspielungen und Metaphern, sondern auch, dass in anderen Ausgaben nicht unbedingt alles ganz genau so abgedruckt wurde, wie in dieser und warum es so war. Es ist ein ganz anderes Lesen, als wir es heute üblicherweise gewohnt sind. Angefangen von Satzbau und Tempo, bis hin zu eben der Analyse, was Swift wirklich sagen wollte. Doch genau darin lag für mich der Reiz. Die neue Ausgabe des Manesse Verlages ist optisch und haptisch ein wahres Schmuckstück. Unter anderem mit einer bunten Fadenheftung und dem anspruchsvollem Umschlag. Das Buch beinhaltet auch historische Abbildungen. Dazu gibt es, neben dem wunderbaren Anhang, in dem die Fußnoten erklärt werden, ein Nachwort von Dieter Mehl, einem deutschen Anglist, der einige Dinge zu Swift erklärt und wie Gullivers Reisen damals bei den Menschen angekommen ist. Danach folgt ein Abschnitt der Übersetzerin Christa Schuenke. Zu kritisieren ist, dass die Schrift doch sehr klein ist. Obwohl ich weitsichtig bin, hat es mich ganz schön angestrengt. Fazit Ein tolles Leseerlebnis, wenn man sich auf die Sprache und die Satire samt „Übersetzung“ einlassen kann.

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