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Rezension zu
Die Mittelmeerreise

Auf der Reise ins Erwachsenenalter

Von: Uljana Brunzema aus Bonn
09.02.2019

Auf der Reise ins Erwachsenenalter Eine neue Reiseerzählung ist Hanns-Josef Ortheil mit „Die Mittelmeerreise“ geglückt. Es ist die letzte Reise eines nunmehr sechzehnjährigen Sohnes mit seinem Vater im Jahr 1967 und setzt sich aus original Tagebucheinträgen zusammen. Diesmal geht es auf große Seefahrt für mehrere Wochen auf einem Frachtschiff. Von Antwerpen über Gibraltar, ins Mittelmeer und nach Griechenland und Istanbul führt die Reise. Mit an Bord ist eine illustre Gesellschaft der Schiffsbesatzung mit der Vater und Sohn in unterschiedlicher Weise oft skurrile Verbindungen eingehen. Die Lektüre der „Odyssee“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und wie wir es von den andern Reisen schon kennen, werden von unterwegs immer wieder Briefe an die Mutter geschrieben. Manchmal entlocken diese Briefe dem Leser ein Schmunzeln, weil immer wieder entscheidende Details ausgelassen werden, alles wie eine Postkartenidylle beschrieben, keine Rede von schwerer Seekrankheit oder erster Liebe. Diese Diskrepanz zeigt sich in diesem Buch besonders deutlich, der sechzehnjährige Sohn reift auf der Reise langsam zum erwachsenen Mann. Johannes ist sehr aufgeregt und ängstlich vor der Schiffsfahrt, eine Symbolik für die lange aufwühlende Reise durch seine Pubertät auch. Schön ist auch wie der Erzähler selbst sein Genre der „Reiseerzählung“ erklärt. Der Vater ist zunächst skeptisch, ob dann zu viel Seemannsgarn gesponnen wird und schreibt deshalb parallel ein Seereise-Tagebuch. Beide werden im Wechsel in diesem Buch zitiert und machen es dadurch schillernd vielschichtig. Sehr plastisch sehen wir nun die Einschiffung in Antwerpen vor uns, wie die ganze Fracht an Bord geht, das Personal langsam in Erscheinung tritt, kuriose Gestalten mit tragischen Hintergründen. Auch der Vater entwickelt und verändert sich in den Wochen der Reise. Ist er zuhause ein äußerst bewegungsaktiver Mensch, der sich viel mit der Land-Natur und Fauna beschäftigt, so muss er sich auf See in einem komplett anderen Biotop zurechtfinden. Er beginnt sich mit lauter Meeresthemen zu beschäftigen, fängt an zu malen und zu zeichnen. Durch die Weiten des Horizonts werden Phantasien bei ihm freigesetzt und bei Gibraltar beginnt er afrikanische Szenen, die Serengeti und afrikanische Städte zu malen, die er nur am Horizont erahnen kann, aber nie gesehen hat auf der Reise. Immer wieder wird die Odyssee evoziert, erst recht als das Schiff irgendwann die griechischen Gefilde erreicht. Und auch die Landgänge in Griechenland werden sehr eindringlich dargestellt, sehr berührend die Szene, wo Vater Ortheil in Patras für seinen Sohn ein Klavier ausfindig gemacht hat als Überraschung, auf dem der sehnsüchtige Musiker endlich einmal wieder die Tasten berühren darf. Hier in Griechenland beginnt auch die langsame Emanzipation des Sohns. Er besucht zum ersten mal mit Denis dem Stewart eine Discothek, lernt ein griechisches Mädchen kennen und näher kennen. Der erste Kuss. Und es entstehen sehr intime Szenen, jeder eigens in seinem Tagebuch, wo Vater und Sohn über das Küssen und die gegenseitige Nähe zueinander reflektieren. Eine zarte Unsicherheit entsteht plötzlich zwischen den beiden mit der sie erst umgehen lernen müssen. Und Johannes fällt plötzlich aus seiner geborgenen Sicherheit des wohlbehüteten wohlgebildeten Sohns. Wir trauen kaum unseren Ohren als wir von ihm hören: „Weil ich ein dämlicher halbwegs neurotischer Oberschüler mit noch dämlicherer Gymnasialbildung bin: Nicht ganz da oder nur halb entwickelt.“ So bringt er seine beginnende Pubertät auf den Punkt. So geographisch und seelisch weit gereist erreichen Vater und Sohn schließlich zusammen Istanbul, flanieren durch die Stadt und beobachten die Menschen und das Leben und die Unterschiede. Beide gehen als jeweils Andere aus der Seereise hervor, ein schönes Bild. Und wer Hanns-Josef Ortheil mit seinen feinen Beobachtungen mag, wird auch diese Reiseerzählung lieben.

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