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Rezension zu
Eine Odyssee

Eine Odyssee

Von: LiteraturReich
03.07.2019

Daniel Mendelsohn, geboren 1960 auf Long Island, ist Journalist, Autor, Kritiker und Übersetzer und ein in den USA sehr geschätzter Intellektueller. Mir war er bislang nicht bekannt. Ein ganz großes Versäumnis, wie mir bei der Lektüre von „Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich“ klar wurde. Beinahe hätte ich auch dieses Buch verpasst, denn die griechischen Sagen und Mythen konnten mich bisher nicht sonderlich begeistern und die Philologie Alter Sprachen habe ich nach dem Latinum ad acta gelegt. Natürlich kennt man grob die Stücke der drei großen Dichter der griechischen Tragödie, Aischylos, Sophokles und Euripides, und Homer ist mit der Ilias und der Odyssee in den Bildungskanon eingebrannt. Mir waren die Verwicklungen der Götter, Halbgötter und Sterblichen aber immer zu verworren, rachsüchtig und blutig, um mich wirklich damit beschäftigen zu wollen. Daniel Mendelsohn, der an der University of Virginia und in Princeton klassische Philologie studiert hat und auch selbst unterrichtet, hat die Odyssee nun als Gerüst für eine wunderbare, anrührende Vater-Sohn-Geschichte verwendet. 2010 bittet ihn sein 81jähriger Vater Jay, an seinem Odyssee-Seminar teilnehmen zu dürfen, dass Mendelsohn am Bard College hält. Der äußerst rüstige Alte nimmt jeden Donnerstag eine mehrstündige zunächst Auto-, dann Zugfahrt auf sich, um unter den jungen Studenten seinem Sohn zu lauschen. Doch nicht nur zu lauschen, wie zunächst versprochen. Jay ist eigensinnig genug, um Daniel mit seinen klugen, oft widerspenstigen Fragen zu verblüffen und zeitweise in die Enge zu treiben. Warum wird Odysseus als Held gefeiert?, ist eine seiner Fragen. Stets erhält der doch die Hilfe der Götter, vorwiegend Athenes, ist nicht in der Lage, seine Männer auf der Heimfahrt zu schützen, betrügt seine Frau und ist gleichzeitig ständig am Klagen und Weinen. Weinen - das geht für einen Mann nicht, schon gar nicht für einen Helden, so Jays Meinung. Sehr zum Vergnügen und Gewinn für die Studenten, aber natürlich letztlich auch für Vater und Sohn, entspinnt sich eine lebhafte Diskussion nicht nur um das Epos, sondern über ganz grundsätzliche Fragen. Für Daniel ergibt sich ein gänzlich neuer Blick auf seinen Vater, der stets streng, ein wenig unnahbar und eher kühl, wenn auch fürsorglich war. Ein Vater-Sohn-Verhältnis wie es so viele gibt, Vater und Sohn, die eigentlich nie viel miteinander reden konnten. Und die sich nun im und um den Seminarraum näherkommen, völlig neue Seiten an sich erkennen. Besonders dass Jay von den Studenten so positiv aufgenommen wird, überrascht Daniel. Mendelsohn erzählt nun aber nicht nur die Geschichte eines (Wieder)Findens von Vater und Sohn. Er spiegelt das Ganze im griechischen Epos, denn auch dort steht ja am Beginn die Suche des Sohnes Telemachos nach seinem Vater Odysseus. Der König von Ithaka war einst nach Troja aufgebrochen, um dort an der Seite der Griechen zu kämpfen. Er zeichnete sich vor allem durch seine Listigkeit aus (Trojanisches Pferd). In der Ilias erzählt Homer von den Kriegshandlungen. Fast berühmter geworden ist aber die Sage um seine ereignis- und wendungsreiche Heimfahrt, die zehn Jahre dauerte, so dass Odysseus insgesamt zwanzig Jahre fern der Heimat war. Die Heimkehr nach Ithaka und zu seiner Frau Penelope, war aber stets sein ersehntes Ziel. So wie Telemachos seinen Vater Odysseus sucht und schließlich auch findet, so finden auch Daniel und Jay auf neue Art zueinander. Erinnerungen an die Kindheit, seine Eltern, die Familie tauchen auf, verflechten sich. Zudem werden Fragen nach Identität, nach dem wahren Ich, danach, wie gut man einen Menschen, und sei es er Vater überhaupt kennen kann, gestellt. Auch Leser*innen, die wie ich nur sehr rudimentäre Kenntnisse der Handlung haben, wird die Dichtung auf wunderbar leichte, einleuchtende und unterhaltsame Weise nacherzählt und näher gebracht. Das gelingt auch daher sehr gut, weil Mendelsohn die thematische Strukturierung seines Seminars nutzt und die Diskussion der Studenten und natürlich seines Vaters einbindet. Familiengeschichte und Textanalyse in einem also. Aber damit nicht genug. Nach Ende des Seminars machen sich Daniel und Jay auf zu einer Kreuzfahrt „Auf den Spuren des Odysseus“. Der Bericht über diese Reise durch die Ägäis ist vielleicht der schönste Teil eines schönen Buchs. Der vermutete Standort Trojas in der Türkei, die Grotte der Kalypso und der Eingang des Hades auf den Campi Flegrei sind u.a. die Ziele. Nur Ithaka, den letzten Hafen erreichen sie ironischerweise wegen eines Streikes nicht. Hervorragend komponiert, angelehnt an die Ringkomposition der Odyssee, elegant geschrieben und äußerst klug, geistreich und anregend, ist Mendelsohns „Odyssee“ eines schönsten Bücher, die ich in diesem Jahr bisher gelesen habe. Ich hoffe sehr, dass nach den vielen positiven Stimmen vielleicht zu einer Neuauflage seines vergriffenen und leider auch antiquarisch nicht mehr zu bekommenden „Die Verlorenen: Eine Suche nach sechs von sechs Millionen“, der Spurensuche nach seinem im Holocaust ermordeten Großonkels, führen könnte.

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