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Rezension zu
Die goldenen Jahre des Franz Tausend

"Die goldenen Jahre des Franz Tausend" von Titus Müller

Von: Fraggle
25.03.2020

Fazit: Die große und absolut zufällig entstandene „Im reisswolfblog gibt es Bücher zu Kaiserreich und Weimar“-Reihe geht in ihre nächste, vermutlich auch erst mal letzte Runde. Von Anfang an stand für mich fest, dass Titus Müllers neuer Roman in den Bereich der „muss-ich-haben“-Bücher gehört, da mich einerseits Bücher faszinieren, die auf historischen Tatsachen beruhen, zum anderen Hochstaplergeschichten im speziellen, weil ich mich immer frage, wie, mit Verlaub, hinterfotzig die einen und wie leichtgläubig die anderen Menschen sein können, und letztlich natürlich eben auch, weil mich die Zeit, in der „Die goldenen Jahre des Franz Tausend“ spielt, momentan sehr interessiert. Und ich bekam mit diesem Roman nicht nur das, was ich wollte, sondern tatsächlich unerwarteterweise noch sehr viel mehr. So viel mehr, dass ich gar nicht genau weiß, wo ich anfangen soll. Relativ schnell wird dem irrtierten Leser deutlich, dass die Geschehnisse rund um den namensgebenden Franz Tausend zwar das Hintergrundthema für Müllers Roman bieten, dass aber eben jener Franz Tausend vielleicht nicht wenig, aber doch vergleichsweise wenig Erzählzeit spendiert bekommt, denn im Vordergrund stehen hier ganz eindeutig ganz andere Personen, namentlich Thomas Mann und Carl von Ossietzky. Und Titus Müller gelingt hierbei beeindruckend das absolute Gegenteil von „Namedropping“: Es gelingt ihm, die beiden berühmten Persönlichkeiten wirklich umfassend und lebendig zu charakterisieren. So wird beispielsweise Thomas Mann als eine Person gezeichnet, die eigentlich unter veritablen Selbstzweifeln leidet, zumindest, was das eigene literarische Werk angeht, und der oftmals mit Dingen, die nichts mit dem Schreiben zu tun haben – beispielsweise seinen eigenen Kindern – überfordert scheint. Ähnlich verhält es sich mit Ossietzky, der ebenfalls an sich und eigentlich der Sinnhaftigkeit von allem zweifelt, sich Hals über Kopf in eine Affäre stürzt, aus der er nur schwer wieder entkommen kann, der aber zumindest hinsichtlich seiner politischen Überzeugungen unumstößlich wirkt, und gerade deswegen leider letztlich viel erleiden musste. Dazu gesellt sich mit dem Polizisten Heinrich Arndt ein Protagonist, der ähnlich gut gelungen ist. All diesen Figuren ist gemein, dass sie – ganz im Gegensatz zu all den Materialien, von denen Franz Tausend behauptet, er könne sie zu Gold machen – tatsächlich eine Entwicklung durchmachen. Thomas Mann vom Zweifler zum Nobelpreisträger, Ossietzky vom Fremdgänger zum unbeugsamen Pazifisten und Friedensnobelpreisträger und Heinrich Arndt vom weisungsgebundenen Mitarbeiter des Staatsapparates, der eigentlich nur seine baldige Unkündbarkeit aufgrund seiner absolvierten Dienstjahre im Kopf hat, hin zu einer Person, die den Staat und seine Mechanismen hinterfragt und nach seinen Überzeugungen handelt. Müller gelingt aber noch viel mehr als diese überzeugenden Charakterzeichnungen. Es gelingt ihm, ein wirklich komplexes Bild der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit zu entwerfen. Und das ist für Leser gänzlich ohne entsprechende Vorkenntnisse vielleicht manchmal nicht ganz leicht, überfordernd wirkt der Roman allerdings an keiner Stelle. Auch weil man, wenn man mal eine der zuhauf genannten politischen oder literarischen Persönlichkeiten nicht kennt, diese auch guten Gewissens einfach mal ignorieren kann. Auffällig ist dabei, wie häufig sich, zumindest für mich Parallelen in die heutige Zeit finden lassen: Beispielsweise im Umgang mit der NSDAP, deren Erfolge kleingeredet werden, weil sie bei den Wahlen im September 1930 ja „nur“ 18,3 Prozent erreicht hat, und man sie schon noch wird klein halten können. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen … Beispielsweise hinsichtlich des Gerichtsprozesses gegen Ossietzky. Dieser hatte in seiner Zeitung lediglich erwiesene Fakten zu Rüstungsprojekten der Reichsregierung veröffentlicht, welche gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages verstoßen. Anstatt ihn zu belobigen, verklagt man ihn. Ein bisschen erinnert mich das an die Ereignisse rund um die Cum-Ex-Geschäfte, bei denen nicht etwa zuerst die Leute vor Gericht gezerrt wurden, die dafür verantwortlich sind, sondern die, die sie publik gemacht haben. Beispielsweise hinsichtlich der Justiz und ihrem Umgang mit rechtsradikalen Politikern, Gewalttätern und sonstigen Idioten. Während die Justiz damals bereits zu großen Teilen mit den Rechten sympathisierte und man sich beispielsweise damit hervortat, die Verantwortlichen des Röhm-Putsches vergleichsweise milde zu bestrafen und/oder verzeitig zu begnadigen, hatte man heute lange Zeit einen Verfassungsschutzpräsidenten, der Flüchtlingsboote im Mittelmeer als „Shuttle-Service“ bezeichnet und eine Justiz, die sich standhaft weigert, Verbindungen zwischen einzelnen Mitgliedern rechter Terrornetzwerke in Bundeswehr, speziell KSK, und Polizei zu ziehen, und diese stattdessen als Einzeltäter bezeichnet, weil man ja für eine terroristische Vereinigung eine Mindestpersonenanzahl braucht, die „nachhaltig“ versuchen müssen, „politische Ziele“ umzusetzen, man aber mindestens einen der Begriffe „nachhaltig“ oder „politische Ziele“ seitens der Justiz vehement bestreitet, und das alles augenscheinlich nur, weil es nicht im Sinne der Justiz sein kann, wenn man zugeben müsste, dass sich in Polizei und Militär rechte Terrornetzwerke bilden. Beispielsweise wenn es heißt: „Die SPD ist ein kläglich verlassenes Wrack, dem die Massen nach links und rechts wegströmen.“ (S. 132) – Okay, der war gemein. Aber ich darf das. Außerdem stimmt es. Insgesamt betrachtet also eigentlich ziemlich erschreckend, oder!? Titus Müller schafft es darüber hinaus auch stilistisch, dem ansonsten hohen Niveau des Romans in nichts nachzustehen. Vor dem Hintergrund des ohnehin schon komplexen Romanthemas finde ich es umso erfreulicher, dass der Stil nicht überkomplex daher kommt und sich, mag es auch nach einer Floskel klingen, einfach gut lesen lässt. In Summe ist „Die goldenen Jahre das Franz Tausend“ ein wirklich wunderbarer Roman, den ich am Setting interessierten Leserinnen und Lesern wirlich mit Nachdruck empfehlen kann. Ich danke der Buchhandlung meines Vertrauens, die mir dieses Buch als Bestandteil meiner zuletzt getätigten und, für meine Verhältnisse, recht umfangreichen Solidaritätsbestellung, erfreulich schnell bis vor die Haustür zukommen ließ.

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