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Rezension zu
Unterleuten

Menschliches, allzu Menschliches: Juli Zeh beleuchtet dörfliche Beziehungsgeflechte

Von: Marina Büttner
02.04.2016

Von Windkraftanlagen und Kampfläufern, von “Zugezogenen” und “Eingeborenen”, vom erträumten ruhigen Leben auf dem Land und der weit weniger romantischen Dorfwirklichkeit. Juli Zehs neuer Roman ist ein gelungenes Gesellschaftsporträt und ein echter Schmöker! In kürzester Zeit war ich von der gut konstruierten Story gefesselt. Da sind auch über 600 Seiten kein Problem. Zudem ist Unterleuten aus sprachlicher Sicht keine große Herausforderung, aber bester Juli-Zeh-Stil. Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, welches in Zehs Roman zum Brennpunkt gesellschaftlicher, politischer und persönlicher Auseinandersetzungen wird. Es gibt auf der einen Seite die alteingesessenen Bewohner, die beharrlich den Nationalsozialismus, den DDR-Kommunismus und nun den Kapitalismus überdauern. Auf der anderen Seite stehen die neu Zugezogenen, die Stadtflüchter, die ihr Heil in ländlicher Natur suchen. Die Konflikte sind somit vorprogrammiert. Alles eskaliert, als auf der Einwohnerversammlung der Bau eines Windkraftparks angekündigt wird … “Im Spätkapitalismus gab es keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch ein Gesellschaftsspiel, dessen Ziel darin bestand, die kläglichen Überreste von Politik möglichst gekonnt in Unterhaltungswert umzusetzen. Da die Politiker nach eigenem Verständnis ohnehin nichts mehr zu entscheiden hatten, verwandelten sie sich in Politikdarsteller, deren Hauptaufgabe in Emotionstheater, Überzeugungsinszenierung und Entscheidungssimulation bestand. In gewisser Weise war das Kunst. Es gab Empörungsarien, Schuldzuweisungssinfonien und Forderungsballaden.” Nun geht es darum, entweder dagegen oder dafür zu sein. Diejenigen, die Land besitzen, das für den Bau geeignet ist, beginnen einen erbitterten Kampf und scheuen vor keinerlei Intrigen zurück. Tatsächlich hat jeder vor allem seinen eigenen Vorteil vor Augen. Da gibt es eine Zugezogene, die “Pferdeflüsterin”, die eine heruntergekommene Villa renoviert und eine Pferdezucht aufziehen will und anhand eines Erfolgs- und Motivationsratgebers alle Register zieht. Da gibt es einen reichen Investor aus dem Westen. Und da gibt es Gombrowski, den Verwalter, der erfolgreich die ehemalige LPG in die neue Zeit geführt hat und mit den Einnahmen des Windparks den Betrieb und somit Arbeitsplätze für das Dorf erhalten will. Doch Gombrowski hat Leichen im Keller. Mit seinem Widersacher Kron führt er seit Jahrzehnten einen erbitterten Krieg, der nun aufgrund der Windparkplanung wieder auflebt. Kron, ehemals eingeschworener Genosse, hatte mit der Enteignung des Gutes von Gombrowskis Familie zu tun. Dennoch arbeiteten beide jahrelang zusammen in der LPG. Der Hass, der lange unterdrückt war, tritt nun massiv zu Tage. Dunkle Ereignisse, die lange Zeit verheimlicht wurden, lassen sich nun nicht mehr so leicht verschweigen. Selbst bislang unbescholtene Bürger fühlen sich zu Gewaltausbrüchen getrieben. Es kommt zu einem rasanten Showdown, bei dem Juli Zeh ein wenig überdreht, was aber dem Gesamteindruck des Romans nicht schadet. “Seiner Erfahrung nach wurden die schlimmsten Übel der Welt nicht durch böse Menschen bewirkt. Von denen gab es in Wahrheit erstaunlich wenige. Viel gefährlicher waren Leute, die sich im Recht glaubten. Sie waren ungeheuer zahlreich, und sie kannten keine Gnade.” Zeh bringt in diesem Roman aktuelle gesellschaftsrelevante Themen aufs Tapet. Zudem schildert sie anhand ihrer detailgenau ausgearbeiteten Figuren grandios, wie menschlich Menschen sind, wie leicht Konflikte eskalieren, wie gerne Intrigen gesponnen werden, wie schnell Menschen zu Gewalttätern werden, wenn es um Persönliches, Emotionales und um das liebe Geld geht. Auch den dörflichen Charakter weiß sie gut zu schildern – diese Mechanismen, die so ganz anders funktionieren als in einer Großstadt. Sie teilt den Roman in Kapitel auf, in denen ihre Protagonisten abwechselnd zur Sprache kommen. Somit erlebt der Leser die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln. Das ist geschickt gemacht, denn so steigt auch die Spannung und man kann sogleich seine persönlichen Sympathien und Antipathien verteilen. Mehr wird nicht verraten, denn es lohnt sich wirklich diesen Roman zu lesen!

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