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Rezension zu
Kleinhirn an alle

Einfach muss nicht niveaulos sein

Von: Sören Heim
29.07.2018

Otto Waalkes feierte am 22. Juli seinen 70sten. Kolumnist Sören Heim hat die Autobiografie Kleinhirn an alle gelesen. _________________________________________________________________ Kleinhirn an alle, die Autobiografie von Otto Waalkes, hätte ich wahrscheinlich links liegen lassen, hätte die Zeit darin nicht „eine Kulturgeschichte des bundesrepublikanischen Humors“ entdeckt. Und dass Otto ein helles Köpfchen ist, sollte ja mittlerweile bekannt sein. Falls nicht, dann erteilt vielleicht die Lektüre des ebenfalls in der Zeit erschienenen Interviews von 2014 Nachhilfe. Auf eine Besonderheit Ottos zumindest legte die Biografie dank der Zeit-Rezension den Finger, noch ehe ich das Buch überhaupt gelesen hatte. Auch dank entsprechender Hinweise in den Kommentaren: Otto ist als Komiker erfolgreich, ohne sich je direkt über irgendjemanden lustig zu machen. Ziel der Witze ist in erster Linie Otto. Dann folgen typische Situationen und Rollen (zB der „Minister“, wie in dem auch in Kleinhirn an alle abgedruckten Sketch mit Harry Hirsch, der einen Typus von Politiker karikiert, der von der krassen Übertreibung zur Alltäglichkeit zu werden droht) und immer: Die Sprache in ihrem Gebrauch. Einfach muss nicht niveaulos sein Die Öffentlichkeit dürfte Otto als eher einfachen Komiker auf dem Schirm haben, und Einfachheit, das heißt Heute nicht selten: Aufzählen, wen und was man alles nicht leiden kann und wie im Kindergarten noch ein dürftiges „haha“ (oder „kennste, kennste?“) hinterher schieben (wobei Otto selbst für Mario Barth noch relativ nette Worte findet). Obwohl ich als Kind und Jugendlicher eine Art Otto-Fan war, fällt mir von ihm nicht ein Gag ein, der Menschen oder Gruppen in einer Weise beleidigt, die darauf abzielt, diese absichtlich herabzuwürdigen. Daran, dass Otto mal von Helmut Schmidt zur Entschuldigung aufgefordert wurde, wegen eines Witzes über den Papst (wieder: das Amt, nicht die Person), musste mich das Buch erst dran erinnern. Was natürlich nicht heißen soll, dass es keine misslungenen Otto-Witze gibt. Kleinhirn an alle selbst ist eine kurzweilige und spaßige Lektüre, obwohl die Zeit mit der „Kulturgeschichte des bundesrepublikanischen Humors“ vielleicht etwas zu hoch gegriffen hat. Ja, Otto beleuchtet seine Beziehungen zu deutschen und internationalen Komikergrößen, findet auch den ein oder anderen Unterschied zwischen den Traditionen deutscher und englischer Komik, doch da wird wenig gesagt, was nicht anderswo auch schon gesagt wurde. Wie die eigene Komik funktioniert, durchblickt Otto messerscharf, auch wenn er fast ein wenig zu oft darauf hinweist, wie planlos er anfangs gewesen sei und wie viele Entscheidungen er bis heute aus dem Bauch treffe. Tatsächlich ist, was das Selbstbild betrifft und auch was das Vorgehen des Komikers Otto betrifft, der lange erste Teil über die Kindheit vielleicht der Instruktivste. Puppentheater, Kasperltheater, Überlegungen dazu, wie man Kinder zum Lachen bringt – da drin steckt die ganze Ottosche Spontanität in einfache Gedanken gefasst, die dann von den reichlich gewürdigten späteren Mitstreitern ausgebaut und verfeinert wird und auch von Otto zur Maxime umgebaut: Besser improvisiert wirken als zu viel improvisieren. Friesenbeat. Die frühen 60er auf dem flachen Land Die interessantesten Passagen im Buch berichten dann von der Zeit mit der überraschend erfolgreichen Beatband Die Rustlers. Wie viel früher als ’68 die Jugendbewegung selbst in der hintersten Provinz begann, welche repressiven Strukturen Jugendliche wie Otto zum Rebellieren brachten – wenn Otto von den Rustlers erzählt, wird der Unpolitische zwischen den Zeilen überraschend politisch. Ich hätte gern mehr über das Schwanken zwischen ernster Musik und Komik gelesen, denn noch in der Otto-Show zeigte Otto ja auch die ein oder andere wirklich starke Aufnahme aus dem ernsteren Repertoire (Mein Favorit: Fool on the Hill), aber laut Otto gibt es da nichts zu berichten. Die kleinen Witze zwischen den Liedern funktionierten, und so wurden bald daraus kleine Lieder zwischen den Witzen und endlich witzige Lieder. Witzig will natürlich auch die Autobiografie selbst sein. Das klappt nicht immer. Der Eröffnungs-Gag zündet am besten, auch jetzt, wo ich dran denke, muss ich schmunzeln: Wer eine Autobiografie schreibt, hat etwas zu verbergen – Kurt Tucholsky Wer nun aber eine Ottobiografie schreibt, lässt praktisch alles raus – Otto Waalkes Das ist genau die Kombination von Einfachheit und Hintersinn, die Otto bis heute groß macht. Noch manchmal drängt der Text in der Folge zum lauten Lachen, doch gibt es auch nicht wenige Rohrkrepierer, über die man eher den Kopf schütteln muss. Kein Wunder: Otto ist Bühnenkomiker, und vielleicht hätten weniger, besser gesetzte, Pointen dem Buch sogar gut getan. Allerdings stören die misslungenen Witze auch nicht wirklich. Unterhaltsam mit treffenden Geistesblitzen Unterm Strich bleibt Kleinhirn an alle ein unterhaltsames Buch mit einigen wirklichen Höhepunkten, und für Otto-Fans sicher ein Muss. Die entdecken dort einen vergleichsweise ernsthaften Otto, der sich relativ selbstkritisch über seine späteren Filme äußert und auch größere Fehler im Privatleben thematisiert. Und für andere Leser ist Kleinhirn an alle zumindest nicht uninteressant. Schon allein, weil man über Otto-Perlen stolpert, die man vielleicht nicht kennt. So wie dieses Zeit im Bild Interview mit Ingrid Turnher oder diese kurze Faust Inszenierung. Lehrreich sollte auch die immer wieder aufgegriffene Betonung sein, wie viel Glück eigentlich zusammenkommen muss, um einen Star wie Otto zu machen. Otto spricht durchaus gern über die Talente, die er hat, aber er erinnert mindestens ebenso gerne daran: Unzählige ebenfalls talentierte Menschen sind nicht zur rechten Zeit am rechten Ort, lernen vielleicht nicht diese eine Person kennen, die sie groß rausbringt, sind vielleicht sogar einfach in der falschen Zeit geboren. In der steten Absage an die Ideologie, dass Leistung, was immer man darunter fasst, in der Regel zum Erfolg führe (was immer man darunter wiederum fasst) ist Otto in Kleinhirn an alle vielleicht effektiver „politisch“, als all die Humorprediger, die sich immer schon an die eigene Gefolgschaft wenden. Und das soll’s gewesen sein. An dieser Stelle erwartet der Leser vielleicht einen witzigen Einfall oder eine Abwandlung eines Otto-Zitates, am Besten eine Anspielung auf das im Titel zitierte „Milz an Großhirn.“ Doch Otto zeigt sich in Kleinhirn an alle mit Recht verstört über den Drang der Kritiker komischer Kunst, diese zwingend „komisch“ zu besprechen. Man käme ja auch nicht auf die Idee, Rilke in Sonettform zu kritisieren. Da hat er Recht. Wer einen Komiker will, lese Kleinhirn an alle oder schaue sich ein paar alte Auftritte Ottos an.

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