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Rezensionen zu
Der Kult

Marlon James

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In einem kleinen Dorf namens Gibbeah taucht eines Tages ein schwarz gekleideter Unbekannter auf, der sich „Apostel York“ nennt und dem bis dato dort predigenden Hector Bligh den Posten streitig macht. Bligh ist ein versoffener alter Mann, der von York ohne Mühen von der Kanzel gestoßen wird. Denn York ist charismatisch und schlägt die Dorfbewohner sofort in seinen Bann. Schon bald entbrennt ein erbitterter Kampf sowohl um die Seelen der Bewohner als auch um die religiöse Macht über das Dorf. . Zu Anfang sei angemerkt, dass es sich bei „Der Kult“ nicht um ein neues Buch handelt, sondern um den Debütroman von Marlon James, der bereits 2009 unter dem Titel „Tod und Teufel in Gibbeah“ erschienen ist. Man muss sich schon auf Marlon James‘ Schreibstil einlassen können, um das Buch zu genießen (und vielleicht auch verstehen) zu können. Und obwohl des Öfteren derbe Ausdrücke benutzt werden, wirkt der Roman dennoch auf hohem literarischem Niveau verfasst. James‘ benutzt eine sehr außergewöhnliche Bildsprache, die sich dem Leser oftmals erst im Nachhinein offenbart. Es sind atmosphärisch dichte, filmreife Bilder, die der Autor mit seiner unkonventionellen Ausdrucksweise im Kopf des Lesers heraufbeschwört. Jede Menge Zitate aus der Bibel werden geschickt in die Handlung mit eingeflochten und lassen dabei ein etwas zweifelhaftes Bild auf Religionen und deren fanatischen Anhänger entstehen. Marlon James packt den Leser von Anfang an und lässt ihn einfach nicht mehr los. Man gerät als Leser ähnlich wie die Protagonisten in einen Strudel aus Sex und Gewalt, dem man sich nicht mehr entziehen kann (und irgendwie auch nicht möchte), denn zu stimmungsvoll sind die Beschreibungen der Ereignisse. Alkohol, sündhafte sexuelle Ausschweifungen und fanatische Schwarzmalerei führen zu einem Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Moderne und mittelalterlich erscheinender Vergangenheit. Mit spärlichen, aber hundertprozentig treffsicheren Worten lässt Marlon James eine Welt vor den Augen des Lesers entstehen, vor der man sich fürchtet, aber gleichermaßen auch vollkommen in Bann gezogen wird. Gerade die fast schon vulgären, sexuellen Beschreibungen, die an Dantes „Göttliche Komödie“ oder apokalyptische Bilder von Hieronymus Bosch erinnern, sind es, die den besonderen Reiz dieses Romans ausmachen. „Der Kult“ wirkt in der Tat apokalyptisch und dystopisch, aussichtslos und deprimierend. Viele Szenen und Bilder wirken so lange nach, das sie sich dem Leser erst nach Genuss der Lektüre, erschließen. Beeindruckend schildert James, wie sich eine ganze Stadt von den Predigten eines einzigen Mannes beeinflussen lässt. Die Bewohner verhalten sich teilweise wie Marionetten oder Lemminge, die sich einzig auf die Stimme ihres „Apostels“ verlassen. Marlon James zeigt gekonnt auf, wie einfach es für einen einzigen Mann ist, Menschen derart zu beeinflussen, dass sie ihm letztendlich hörig sind. Viele sündhafte Ausschweifungen und menschliche Abgründe werden in „Der Kult“ beschrieben: Sodomie, Pädophilie, Ehebruch oder Untreue. An manchen Stellen werden Marlon James‘ Beschreibung fast schon pornographisch, aber sie könnten nicht passender sein, denn sie arbeiten auf einen unglaublich intensiven Kampf zwischen Gut und Böse hin. Und erneut kommen einem beim Lesen Vergleiche mit Dante und Bosch in den Sinn. „Der Kult“ ist ein beeindruckender Roman über beängstigenden religiösen Fanatismus, sexuelle Entgleisungen und den Auswirkungen einer Massenhysterie in exzessive Gewalt. Die Geschichte ist ein Gleichnis über die Zerstörung einer Gesellschaft durch die Machtergreifung eines verblendeten Aufhetzers, der die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge (Gott und Teufel) verwischen lässt. Oft gleitet Marlon James ins Surreale ab und begibt sich damit auf literarische Pfade, die sonst nur der Regisseur David Lynch auf filmischem Weg betritt. Die Auseinandersetzung der beiden Priester, die das Gute und Böse im Menschen verkörpern (?) ist episch, aber auch mystisch und brennt sich szenenweise unaufhaltsam ins Gehirn ein. Den Roman einem Genre zuzuordnen fällt sehr schwer, denn zu vieles wurde vom Autor darin verpackt, um einer geraden, einfachen Linie zu folgen. „Der Kult“ ist Kult. . Fazit: Kultverdächtig, episch und beeindruckend. © 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

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Quentin Tarantino in Buchform

Von: Lilli (www.geeksantiques.blogspot.de)

14.07.2018

Wir befinden uns in einem fiktiven karibischen Dorf namens Gibbeah, Ende der 1950er Jahre. Es herrscht monotone Stille, die Bewohner gehen ihrem täglichen Trott nach und jeder trägt seine dunkelsten Geheimnisse (mal mehr, mal weniger) unbemerkt mit sich. Doch die zarte Blase des falschen Friedens zerplatzt, als ein Geier durch das Fenster der örtlichen Kirche kracht und die Besucher der Morgenmesse im wahrsten Sinne des Wortes wachrüttelt. Kurze Zeit später übernimmt der selbst ernannte Apostel York die spirituelle Führung der Gemeinde und verdrängt damit den amtierenden Pastor Hector Bligh. Zwischen dem charismatischen Apostel und dem alkoholabhängigen Pastor, aber auch innerhalb des kleinen Dorfes, entbrennt ein erbitterter Glaubenskrieg, in dem es bald um mehr als nur religiöse Fragen geht. Ich muss zugeben, zu Beginn der Lektüre war ich zunächst geschockt und etwas überfordert. Vor allem, weil dieser Roman so ganz anders ist, als das, was ich sonst lese. Mir war auch recht schnell klar, wieso Marlon James die Widmung für seine Mutter mit dem Zusatz versehen hat, dass ebenjene das Buch nicht lesen dürfe. Die Geschichte beginnt abrupt, schmerzlos und ohne jede Vorwarnung. Der Stil ist mal realistisch, mal bizarr und fragmentarisch. Die Schauplätze und Sichtweisen wechseln sich rasant ab und ich brauchte einige Seiten, um mich an die ungewohnte Erzählweise heranzutasten. Doch es lohnt sich! Nach etwa 60 Seiten teilweiser bis gänzlicher Verwirrung ist man endlich in der Geschichte angekommen, hat die Chronologie der Ereignisse und die Personen erfasst und kann sich ganz dem Spiel zwischen Gut und Böse widmen. Archetypische Repräsentanten dieser Gegensätze sind die männlichen Protagonisten Bligh und York, denen jeweils zwei starke, aber kontroverse weibliche Figuren beistehen: Pastor Bligh erhält nach seiner „Auferstehung“ die Hilfe und den Rückhalt der Witwe Greenfield, der Apostel York wird von der fanatischen Voodoo-Dame Lucinda unterstützt. Die Gemeinde wird Opfer einer spirituellen Schlacht, in der es um die Rückkehr zu Jesus auf der einen Seite und Vergeltung auf der anderen Seite geht. Wir erleben alle Facetten der Menschlichkeit von Reue über Zorn bis hin zum Wahn, der in Selbstzerstörung gipfelt. Was hat der Gemeinde bisher gefehlt, dass sie so bereitwillig in die offenen Arme des Verdammnis predigenden Apostel treibt? Man fühlt sich von der Aneinanderreihung von Handlungsfetzen, Bibelzitaten und Metaphern manchmal ebenso unwissend, hilflos und benebelt zurückgelassen wie der betrunkene Pastor Bligh selbst. Marlon James schafft es, mit einer bildhaften, fast abstoßenden Genauigkeit den inneren Konflikt der Religiosität zu erfassen und den Leser von Seite zu Seite in seinen Bann zu ziehen – selbst wenn man das Buch manchmal lieber zur Seite legen möchte. Unabhängig von der zeitlichen und lokalen Einordnung der Geschichte wirft der Roman Fragen auf, die sich jeder einmal stellen sollte: Wo fängt Fanatismus an und wo hört der Glaube auf? Kann Rache eine Lösung sein? Welche Rolle spielen dabei Kirche und Moral? Und was ist überhaupt der Unterschied zwischen Vergeltung und Vergebung? Auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden und man als Leser häufig mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf zurückgelassen wird, so regt „Der Kult“ doch zum Nachdenken an. Das Buch hat mich positiv überrascht, jedoch kann ich aufgrund der recht harten und gewöhnungsbedürftigen Sprache keine uneingeschränkte Leseempfehlung erteilen. Wer Grausamkeiten á la Stephen King (insbesondere sein Werk „Die Arena“) und die gewaltlastige Bildsprache von Quentin Tarantino mag, wird dieses Buch zu schätzen wissen. Alle anderen seien an dieser Stelle vor der schonungslosen Art des Autoren gewarnt – oder dazu eingeladen, ihren Horizont zu erweitern, auch wenn es etwas ungemütlich werden könnte.

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Der mythische Kampf zweier Prediger

Von: Daniela

14.07.2018

Leider hat mir das Buch nicht so gefallen. Die Story: Schauplatz ist ein fiktives Dorf im Hinterland, erzählt wird der mythische Kampf zwei Prediger - aber mit so viel Klischees behaftet und Bestätigung von Vorurteilen, dass ich das Buch echt nicht empfehlen kann. Bücher sollten doch anregen zum Nachdenken und nicht stupide Vorurteile bestätigen? Außerdem erahnt man schon die Roman-Ereignisse, sie werden oft im Voraus angekündigt - es macht keinen Spaß sich auf etwas zu freuen. Bizarre Erscheinungen runden das leider nicht ab. Ich glaube das Buch wäre besser, wenn es besser übersetzt worden wäre. Das gewöhnliche Alltags-Deutsch macht glaub ich viel kaputt. Der Schreibstil ist sehr holprig. Leider nur ein Stern.

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Als ich den Einband gelesen habe, war ich begeistert. Die Story klang super interessant und sehr spannend. Leider hatte ich schon zu Beginn, als ich anfing das Buch zu lesen, das Gefühl irgendetwas verpasst zu haben. Natürlich tauchen in jedem Buch Namen auf, die man erst nach ein paar Seiten zuordnen kann. Aber es fühlte sich an, als wwürde man "ins kalte Wasser geschmissen werden". Mir fiel es sehr schwer, in die Story hineinzukommen, da Kapitel, die auf andere folgten, auf einmal in einer ganz anderen Zeit zu spielen schienen. So habe ich mich bei jedem Kapitel erneut darauf konzentrieren müssen, Zusammenhänge zu den vorherigen Kapiteln zu finden und das fand ich sehr schade, weil sich so die Spannung nur schwer aufbauen kann. Es kann aber auch sein, dass ich das nur so empfunden habe, weil ich den Schreibstil so noch nicht kannte. Die Story an sich, also worum es geht, finde ich sehr interessant. Sobald ich einzelne Zusammenhänge erkannt habe, wollte ich auch schnell wissen, wie es weiter geht. Trotzdem habe ich auch nach Beendigung des Buches das Gefühl irgendwie "auf dem Schlauch zu stehen". Ich verstehe zwar, was passiert ist, aber ichs sehe immer noch einzelne Kapitel mit ihrer eigenen Bedeutung, anstatt das Buch als Ganzes. Aus diesem Grund, gebe ich dem Buch leider nur 2 Sterne. Da ich mir aber absolut nicht sicher bin, ob mein teilweise Nichtverstehen bzw. Nichtverfolgenkönnen an dem Buch liegt oder vielleicht doch einfach nur an mir, möchte ich aber sonst nicht abfällig über das Buch schreiben. Deshalb kann ich abschließend sagen, dass ich die Idee der Story sehr gut finde und es auch Kapitel gab, wo ich gerne weiterlesen wollte. Ebenfalls fand ich, dass einige der Charaktere sehr lebendig wirkten, so wie über sie geschrieben wurde. Eine Sache, die nichts mit dem Buch bzw. eher nicht mit der Story zu tun hat, was ich aber noch los werden möchte: Ich bin ein großer Fan des Buchcovers! Das sieht wirklich stark aus. Liebe Grüße!

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Tief atmosphärisch

Von: Osira

07.07.2018

Dieses Buch vergisst man nicht. Werde auf jeden Fall auch die anderen Bücher von Marlon James lesen. Ab der ersten Seite wird man sofort in diese bedrückende und beklemmende Geschichte des Dorfes Gibbeah gezogen. Man glaubt sich in einem Albtraum. Der Pastor Bligh wird eines Tages vom selbsternannten Apostel York aus seiner Kirche vertrieben. Der Apostel klagt ihn für seine Sünden an. Trunksucht und Ehebruch. Er will das Dorf vor dem Teufel retten und stellt strenge Regeln für die Bewohner auf. Niemand darf das Dorf verlassen oder betreten. Hysterie greift um sich und selbst die Geier und Tauben verhalten sich feindschaftlich. Beide Männer kämpfen nun gegeneinander. Wer wird gewinnen und gibt es Erlösung für das Dorf. Hier sind schwere Sünden begangen worden, wie Sodomie und Pädophilie. Mit Erschütterung und Abscheu liest sich dieser Text, doch man kann sich ihm auch nicht entziehen und ist beim lesen von den Fragestellungen getrieben, gibt es Vergeltung und bringt Rache Genugtuung? Mich wird dieses Buch noch sehr lange beschäftigen. Es hat mich förmlich in seinen Bann gezogen. Wer sich nicht vor den menschlichen Abgründen fürchtet und starke Nerven hat, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

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Soweit der Klappentext dieses Buches. Äußerlich ist es überraschend schön gestaltet, innerlich herrscht Dunkelheit. Gleich auf den ersten Seiten wird mit Klischees - bewusst - nur um sich geworfen. Es wird das Bild einer scheinheiligen amerikanischen Kirchengemeinde gezeichnet, in Bildern von überambitionierte Speichellecker wie "die sechs Appostel" (eine Gruppe aus Kirchenmitgliedern, die so eine Art Taskforce für alles unchristliche in der Kirche bilden) oder dem ständig betrunkenen Pfarrer, der der beste Gast im Dorf-Pub ist oder der braven Kirchgängerin von nebenan, die eigentlich nur in die Kirche geht, weil man das so macht. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird dem versoffenen Pfaffen ein Antagonist gegenüber gestellt - frei nach Mighty Sam McClains "there's a new man in town" kommt der neue Heilsbringer - oder ist er die Verkörperung des Teufels? All das beschreibt Marlon James auf eine sehr unklare und oftmals auf Klischees zurückgreifende Art, die mit der Zeit sehr anstregend wird. Wahrscheinlich ist das Absicht, denn so dermaßen degeneriert wie der alte Pfarrer daher kommt, so abgehalftert und runtergekommen - so tief kann kaum ein Mensch sinken. Von Anfang an schleppt sich die Handlung dahin. Und nur weil "Heyne Hardcore" drauf steht, muss nicht unbedingt hardcore drin sein. Das Buch ist kein Pageturner, kein actiongeladenes Feuerwerk. Es ist die pure Religionskritik, wie sie vielleicht für amerikanische Verhältnisse ein Novum ist, für europäische Atheisten (und vielleicht auch Gläubige) beeinhaltet er nicht viel neues. Man kann sich vorstellen welcher Kampf mit welchen Mitteln ausgefochten wird und welche die Aufgaben der Schachfiguren am Rande sind. Aus meiner Sicht gibt es kaum echte Taboubrüche - höchstens solche, die der brave, moralgefestigte Leser ohne Erfahrung mit dem Festa Verlag vielleicht als solche betrachten würde. Religionskritik ist in den USA ein heißes Pflaster, da es hier - und das drückt der Roman wenn auch überspitzt gut aus - zum moralisch guten Ton gehört, Gläubig zu sein oder dies eben vorzugeben. Da ist man in vielen Teilen Mitteleuropas schon weiter: hier ist Religion Privatsache geworden und dient nicht als unaufrichtige Meßlatte für einen braven Bürger. Aber Marlon James ist Jamaikaner, das moralinsaure fassadenhafte Ausleben von Religion wie in den USA ist hier nicht so verbreitet. Dabei kommt Marlon James noch dazu aus einem gutbürgerlichen Haushalt, wahrscheinlich deutlich über dem Durchschnitt anderer schwarzer Familien in und bei Kingston; beide Eltern waren Polizisten, der Vater wurde später Jurist. Es spricht also vieles dafür, dass James aus einem aufgeklärteren Elternhaus kommt und ihm kritisches Hinterfragen von Kindesbeinen an beigebracht wurde. VIelleicht ist das auch der Grund, dass sich so einige bei ihren Kritiken förmlich überschlagen. Für mich ist das Buch zu schwerfällig und zu langatmig, die Story zu erwartbar und die Charaktere zu überzeichnet. Ich erkenne aber durchaus an, dass James genau weiß was er tut und wohl auch wie er es tut.

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Three little children With Doves on their shoulders They’re counting out the Devil With two fingers on their hands “Dachau Blues”, Captain Beefheart In dem Dorf Gibbeah, irgendwo in irgendeiner Zeit (aber vermutlich Ende der 1950er Jahre angesiedelt), existiert der neben Religion der Glaube an Magie. Die Dorfbewohner pendeln zwischen Aber- und fanatischem Glauben, unbeeinflusst von dem Lauf der Zeit jenseits ihrer Dorfgrenzen. Der predigende Trunkenbold Hector Bligh, von allen der „Rumprediger“ genannt, wird von den Strenggläubigen eher geduldet als akzeptiert. Dies jedoch ändert sich, als ein schwarz gekleideter Fremder, der selbsternannte "Apostel York", wie eine alles verschlingende Macht in die Kirche einfällt und den versoffenen Prediger von seiner Kanzel stößt. Charismatisch und mit verführerischer Zunge nimmt er dessen Platz ein und beginnt einen erbitterten Kampf um die verlorenen Seelen des kleinen Dorfes… Der im Jahr 1970 in Kingston, Jamaika geborene Schriftsteller Marlon James präsentiert mit seinem Erstling einen nach anfänglichen Schwierigkeiten letztendlich mehrfach preisgekrönten Roman, der mit einer komplexen Sprachgewalt aufwartet, die mich inhaltlich wie sprachlich an den Debütroman Und die Eselin sah den Engel von Nick Cave erinnert. Sehr detailliert und mit einem scharfen Blick beschreibt er Personen und Lebensumstände einer einfachen, ungebildeten Bevölkerungsschicht, die in ihrer wuchtig-atmosphärischen Sprache und den sehr bildhaften Beschreibungen ein außer- wie ungewöhnliches Lesevergnügen bereitet. Wir haben hier keinen Roman, den man zur Unterhaltung und Ablenkung „nebenbei“ liest, sondern benötigt die volle Konzentration, um sich der aufgebauten Stimmung vollständig hingeben zu können. Dann jedoch kommt man in den Genuss eines sprachgewaltigen, in seinen Formulierungen barocken und in seinen Metaphern mehrdeutigen Brocken von Literatur, der einen noch lange beschäftigen wird. Der Kult (Originaltitel: John Crow’s Devil, USA 2005) erscheint bei Heyne Hardcore als gebundene Neuauflage mit Schutzumschlag in einer Übersetzung aus dem jamaikanischen Englischen von Wolfgang Binder (288 Seiten, €22). Im Anhang befindet sich eine persönliche Danksagung des Autors. Marlon James, der mit seinem dritten Roman Eine kurze Geschichte von sieben Morden als erster jamaikanischer Schriftsteller den britischen Man Booker Prize gewonnen hat, legt mit seinem Debütroman eine harte, nicht immer leicht lesbare, aber sprachlich beeindruckende Geschichte vor, die man sich als Leser erarbeiten muss. Lässt man sich jedoch darauf ein, wird man mit einem atmosphärisch dichten, atemberaubenden Leseerlebnis belohnt! Christian Funke

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Hector Bligh ist seit 1951 Pastor der Heilig-Grab-und-Evangeliumskirche in dem kleinen jamaikanischen Dorf Gibbeah und wegen seines berüchtigten Alkoholkonsums vor allem als Rumprediger bekannt, und zwar nicht erst seit dem Vorfall mit der vom Teufel besessenen Lillamae Perkins, die ihrem Vater vor zwei Jahren in seinem Bett den Penis abgeschnitten hatte, das mit ihm gezeugte Kind durch den Verzehrt von grünen Papayas loswerden wollte und nicht mal von fünf Diakonen gebändigt werden konnte. Zwei Tage später wurde ihre Leiche im Two Virgin River gefunden. Gerade als Pastor Bligh am Tiefpunkt seines Lebens zu sein scheint und mit entblößten Geschlechtsteilen bewusstlos am Straßenrand aufgefunden wird, trifft ein schwarz gekleideter Fremder auf seinem Motorrad in der Gemeinde ein. In der Sonntagsmorgenmesse fliegt ein John-Crow-Geier – der gemeinhin als Vorbote des Teufels betrachtet wird - durch das Buntglasfenster und landet tot auf der Kanzel. Wenige Minuten später konfrontiert der Fremde, der sich Apostel York nennt, Bligh mit dessen Sündhaftigkeit und übernimmt kurzerhand die Kontrolle über die Gemeinde und verspricht ihr den Beginn einer neuen Ära. Tatsächlich sind Gibbeahs Bewohner ganz fasziniert von dem neuen Mann Gottes, der Wunder wirkt, aber auch Rache und Verdammnis predigt. Doch Pastor Bligh, der hinter dem Dorf und jenseits des Flusses bei der Witwe Greenfield Unterschlupf findet, lässt sich auf einen Glaubenskampf mit dem Apostel ein. Nach einem Monat kehrt Bligh in die Stadt zurück und macht die Menschen neugierig … „Die Leute finden’s komisch, dass nach und nach immer mehr rausgegangen sind und dem Rumprediger zugehört haben. Er hat eigentlich nicht wirklich zu ihnen gepredigt. Er hat für die Straße und den Himmel und für Gott gepredigt. Jemand von denen, die gegangen sind, eine Frau, hat gesagt, wenn er mit ihr spricht, ist das, als würd er glatt durch sie hindurchsprechen. Die Leute sagen, dass der Apostel Hector Bligh nie und nimmer die Kirche überlässt, ganz gleich, wie weiß dessen Anzug zurzeit ist.“ (S. 119) Als erster Jamaikaner wurde der mittlerweile in Minneapolis, Minnesota, lebende Schriftsteller Marlon James 2015 für seinen epischen Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ mit dem renommierten Man Booker Prize ausgezeichnet, woraufhin Heyne Hardcore das Buch auf für den deutschen Markt veröffentlichte. Zuvor war sein 2005 erschienenes Debüt „John Crow’s Devil“ vom Verlag F. Stülten unter dem Titel „Tod und Teufel in Gibbeah“ als einziges von James‘ Werken auf Deutsch erhältlich gewesen und erfährt nach dem Erfolg des Romans über die geplanten Anschläge auf Bob Marley – unter dem neuen Titel „Der Kult“ - seine zweite Chance darauf, von der hiesigen literarischen Welt gewürdigt zu werden. James entwirft in seinem ersten Roman das leider nach wie vor hochaktuelle Szenario des Kampfes von selbst ernannten Stellvertretern Gottes auf Erden, die den vermeintlich Ungläubigen die Worte der Bibel predigen, aber deren Bedeutung natürlich nach sehr persönlichen Vorlieben auslegen. Natürlich werden dabei die verschiedensten Dämonen und Hexen beschworen, Sünder werden verstümmelt und getötet, die Biografien der wichtigsten Protagonisten aufbereitet, worunter nicht nur der Pastor und der Apostel fallen, sondern auch die Witwe Greenfield und die Apostel-Gehilfin Lucinda, so dass deutlich wird, aus welchen Gründen die Menschen in Gibbeah der einen oder anderen Stimme Gottes folgen. Der Autor bedient sich dabei ganz bewusst der furchteinflößenden Bilder und Geschichten aus der Bibel, spielt mit der Angst vor Dämonen, Hexen und schwarzer Magie, vor allem aber mit den ständigen Versuchungen des Fleisches, die Lucinda beispielsweise nur durch heftigste Selbstgeißelung zu bändigen hofft. „Der Kult“ ist ein wirklich packendes Buch, das mit alttestamentarischer Wucht die Verführungskünste des Teufels und die Vielfalt der göttlichen Strafen thematisiert, wobei Marlon James gerade die Fleischeslust in expliziten Bildern beschreibt. Sein kraftvolles Debüt ist definitiv nichts für zarte Gemüter, macht so aber umso eindrucksvoller deutlich, wie leicht sich Menschen durch charismatische Führer mit verheerenden Folgen auf spirituelle Abwege begeben können.

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