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Mary Lynn Bracht über den geschichtlichen Hintergrund von »Und über mir das Meer«

Die »Trostfrauen«

Einige Historiker sind der Ansicht, es wurden fünfzig- bis zweihunderttausend koreanische Frauen und Mädchen vom und für das japanische Militär verschleppt, getäuscht oder verkauft, um während der japanischen Kolonisierung Koreas als Zwangsprostituierte zu dienen. Die japanischen Armeen kämpften um die Weltherrschaft. Es begann 1931, als Japan in die Mandschurei einmarschierte, was 1937 in den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg mündete, und endete mit dem Sieg der Alliierten über die Japaner im Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeitspanne wurde das Leben vieler Menschen in allen involvierten Ländern vernichtet und zerstört.

Von den Zehntausenden Frauen und Mädchen, die von der japanischen Armee versklavt wurden, sind (zu dem Zeitpunkt, an dem dieses Buch geschrieben wurde) nur noch vierundvierzig Südkoreanerinnen am Leben, die der Welt berichten können, was während ihrer Gefangenschaft geschah, wie sie überlebten und wie sie nach Hause zurückkehrten. Wir werden nie erfahren, was mit den anderen Frauen und Mädchen passiert ist, die ums Leben kamen, bevor sie Gelegenheit hatten, der Welt von ihrem Leiden zu erzählen. Viele starben in fremden Ländern, und ihre Familien erfuhren ihre tragischen Geschichten.

Viele halmoni, Großmütter, die ihre Versklavung überlebt hatten, wagten nach ihrer Rückkehr nicht, ihren Familien oder Dorfgemeinschaften ihre Geschichte zu erzählen. Korea war eine patriarchalische Gesellschaft, und die sexuelle Reinheit von höchster Bedeutung. Die Überlebenden waren gezwungen, über die Leiden ihrer Vergangenheit Stillschweigen zu bewahren. Viele litten unter gesundheitlichen Folgen, posttraumatischen Belastungsstörungen zum Beispiel, und es gelang ihnen nicht, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren. Die meisten lebten in erbärmlicher Armut, ohne Familie, die sich im Alter um sie kümmerte. Einige Historiker sind der Meinung, die »Trostfrauen« hatten nach dem Zweiten Weltkrieg nie hohe Priorität für die koreanische Regierung, denn sehr bald brach der Koreakrieg aus, und bei diesem Bruderkrieg zwischen dem Norden und dem Süden kamen wieder viele Menschen um. Dann wurde entlang des 38. Breitengrads quer über die Halbinsel eine Grenze gezogen, und Korea war für immer in zwei Hälften geteilt. Die südkoreanische Regierung musste ein Land neu aufbauen, dessen Infrastruktur durch den Krieg zerstört worden war. Es gab vermeintlich wichtigere Probleme. Weitere vierzig Jahre sollte es dauern, bis das Thema »Trostfrauen« wieder zur Sprache kam, als Kim Hak-sun 1991 der Presse ihre Geschichte offenbarte. Viele weitere Frauen folgten ihrem tapferen Beispiel, insgesamt waren es mehr als zweihundert.

Im Dezember 2015 kamen Südkorea und Japan zu einer »Vereinbarung« bezüglich der »Trostfrauen«. Beide Länder hofften, den Konflikt ein für alle Mal beilegen zu können. Japan forderte, die Friedensstatue zu entfernen, die auf Privatgrund gegenüber der japanischen Botschaft in Seoul errichtet worden war. Die halmoni haben diese »Vereinbarung« abgelehnt und streben weiterhin eine gemeinsame Resolution an, weil sie der Meinung sind, Japan möchte diese furchtbare Geschichte der sexuellen Versklavung durch das Militär im Krieg einfach auslöschen, als hätten diese Gräueltaten nie stattgefunden, als hätten bis zu zweihunderttausend Frauen nicht unter tragischen, herzzerreißenden Umständen leiden und viele von ihnen auch sterben müssen.

Im März 2016 fuhr ich nach Seoul, um mir Pyeonghwabi (die Friedensstatue) persönlich anzusehen. Für mich war es eine Art Pilgerreise um die halbe Welt, um das Mahnmal zu Gesicht zu bekommen, das für mich nicht nur für koreanische Frauen und Mädchen stand, die in Kriegszeiten vergewaltigt worden waren, sondern für alle Frauen und Mädchen in der ganzen Welt: Uganda, Sierra Leone, Ruanda, Myanmar, Jugoslawien, Syrien, Irak, Afghanistan, Palästina … Die Liste der Frauen, die Opfer von Kriegsvergewaltigungen wurden, ist lang, und sie wird weiter anwachsen, wenn wir das Leiden der Frauen in Zeiten des Krieges nicht in die Geschichtsbücher und Museen aufnehmen, ihnen zu Ehren keine Denkmäler wie die Friedensstatue errichten.

Während ich dieses Buch schrieb, verliebte ich mich in Hana, die für mich letztlich alle Frauen und Mädchen repräsentierte, die ihr Schicksal geteilt haben. Ich konnte sie nicht tot im mongolischen Boden zurücklassen, ermordet von der Hand eines Soldaten, allerdings ist es kaum wahrscheinlich, dass Hana im echten Leben die Freiheit erlangt hätte, und das Ende meines Buches entspricht dem, was ich mir für Hana und andere wie sie gewünscht hätte. Emis Geschichte aufzuschreiben, das war mein Trost im Angesicht der Schrecken. Emi war meine Lieblingsfigur, und ich glaube, nach allem, was sie durchmachen musste, war es nur gerecht, dass die Statue am Ende wirklich Hana darstellte. Im echten Leben wurde die Statue gar nicht nach einer bestimmten »Trostfrau« geschaffen, aber in meiner Geschichte ist das anders - eine Geschichte, die ich allen Frauen auf der Welt widme.

GENRE