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Rezension zu
Mein Ein und Alles

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Großartige schriftstellerische Leistung, brisantes, eindringliches Thema

Von: Buchstabenträumerin
22.10.2018

Ich hasse diese Geschichte. Ich hasse es, dass der Waffenbesitz, der in den USA möglich ist, und die damit einhergehende Waffengewalt, eine so große Rolle in „Mein Ein und Alles“ spielen. Gleichzeitig aber liebe ich diese Geschichte, denn Gabriel Tallent hat mit Turtle und Martin Charaktere erschaffen, die ganz tief fühlen, die unglaublich falsch denken, die sich verlaufen haben, die orientierungslos und verzweifelt sind und die sich in kranker Liebe aneinender binden. Es tut weh, diesen Roman zu lesen, der mich abstieß und gleichzeitig anzog. „Mein Ein und Alles“ ist eine einzige faszinierende Herausforderung. Wie also einen Roman rezensieren, dem ich so zwiegespalten gegenüberstehe? Der einerseits so abscheulich ist, andererseits so bittersüß und zart? Lasst mich ein wenig von Turtle und Martin erzählen, deren Beziehung das Zentrum der Handlung bildet. Vater und Tochter leben zusammen in einem heruntergekommenen Hof, abgelegen und isoliert. Einzig Turtles Großvater lebt noch in einem schäbigen Wohnwagen auf dem Grundstück. Waffen, Pistolen, Gewehre und Schrotflinten sind ständige Begleiter der kleinen Familie. Tägliche Schießübungen und das Reinigen der Waffen sind die Freizeitbeschäftigungen von Turtle. Selbst in der Schule, wo sie als Außenseiterin dem Unterrichtsstoff nur schwer folgen kann, trägt sie stets eine Waffe. Die Stimmung ist dadurch von Beginn an bereits angespannt, geladen, explosiv, und der Vater wird intuitiv zu einer bedrohlichen Figur. Wie bedrohlich er wirklich ist, zeigt sich in kurzen Episoden und Erinnerungen, oft nur Andeutungen, die Turtle aber weitestgehend verdrängt, als Leser wird man ihrer kaum gewahr, vieles spielt sich im Kopf ab. Als sie jedoch durch Kontakte zu anderen diese andere, normale Welt kennenlernt, wird ihr immer mehr bewusst, wie falsch ihr Alltag mit dem Vater ist, wie falsch das ist, was er mit ihr macht. Dass die Liebe zwischen Vater und Tochter, wo wie sie sie erlebt, nicht richtig ist. Mit dieser Erkenntnis beginnen zwei Kämpfe – der Kampf, den Turtle in ihrem Inneren ausficht, und der Kampf zwischen ihr und ihrem Vater. Turtle auf ihrem Weg zu begleiten, hat mich unendlich traurig gemacht. Sie ist ein starkes, liebenswertes Mädchen, dass sich nichts anderes wünscht, als ihren Vater glücklich zu machen und von ihm geliebt zu werden. Zu erkennen, dass beides nicht möglich ist und ihr Leben kaum mehr ist als eine verquere Illusion, erschüttert. Was bedeuten angesichts der Abgründe, die sich auftun, Loyalität, Liebe und Familie? Was ist wichtig, was ist schützenswert, was nicht? Was ist Turtle bereit, aufzugeben, um ein anderes Leben zu führen und noch viel wichtiger: schafft sie es? Hier beginnt der Teil des Buches, bei dem mir des Öfteren flau wurde. Der zweite Kampf, der zwischen ihr und Martin, ist blutig und brutal. Er überschreitet Grenzen, die ich eigentlich lieber nicht überschritten hätte. Doch irgendwie ist auch dieser Kampf stimmig, denn die Beziehung von Martin und Turtle ist derart intensiv, ihr Schicksal ist so sehr ineinander verzahnt, dass eine andere Form der Auseinandersetzung kaum heftig und wirksam genug sein würde. Die einzig denkbare Form der Loslösung ist die Auslöschung. Fazit „Mein Ein und Alles“ von Gabriel Tallent ist eine Geschichte mit zwei Seiten. Sie ist extrem, krank und abartig, Turtle hingegen ist liebenswert, zerbrechlich und ihr Schicksal geht zu Herzen. Ich las das Buch und liebte und hasste es in gleichem Maße. Es wird das Bild einer Vater-Tochter-Beziehung gezeichnet, die so nicht existieren dürfte, sie ist in jeglicher Hinsicht falsch. Möchte ich so ein Thema empfehlen? Nein, nicht wirklich. Doch der Prozess des Erkennens seitens Turtle, ihre Entwicklung, ihr Kampf um Eigenständigkeit und Freiheit, diese Aspekte der Geschichte sind herzergreifend und hervorragend geschrieben. Sie schreien förmlich danach, gelesen zu werden. Daher kann ich nur jedem ans Herz legen, Turtle kennenzulernen.

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