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Rezension zu
Macbeth

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

[Gelesen] Macbeth – Blut wird mit Blut bezahlt

Von: Janine Amberger
23.11.2018

Im Rahmen der Hogarth Shakespeare Reihe sind bereits einige Werke des Barden von bekannten Autoren neuinterpretiert worden, wobei ich mit am meisten auf Macbeth gespannt war. Macbeth ist mein liebstes Stück von Shakespeare und birgt für jede Adaption eine große Herausforderung: Macbeth ist gleichzeitig Protagonist und Antagonist. Sein Weg vom Sympathie- und Hoffnungsträger hin zum kaltblütigen Mörder und schließlich Despoten ist faszinierend und abstoßend zugleich, dabei aber nachvollziehbar. Zu Beginn des Stücks ist Macbeth ein Feldheer, dem die schottische Krone prophezeit wird und ein Großteil der Handlung beschäftigt sich mit dem Weg dorthin und wie Macbeth dabei korrumpiert wird. Wie das am besten für ein modernes Publikum umsetzen? Es gibt viele ikonische Szenen in Macbeth von William Shakespeare, und eine davon ist definitiv in der ersten Szene des vierten Akts zu finden. Hier stehen die drei Hexen um ihren Kessel und werfen unter Beschwörungen allerlei Dinge zum brauen hinein. Einen dieser Verse könnte sich Jo Nesbø dabei besonders für seinen Macbeth zu Herzen genommen haben: „Spart am Werk nicht Fleiß noch Mühe, Feuer sprühe, Kessel glühe!“ (aus William Shakespeare: Macbeth, Reclam (2001), Übersetzung von Dorothea Tieck) EINE STADT FÜR EIN KÖNIGREICH Nesbø verlegt die Handlung in eine verkommene Industriestadt irgendwo im Norden in den 1970er Jahren. Die örtliche Polizei kämpft nach außen hin gegen den Drogenboss Hecate sowie die mit ihm konkurierende Bikergang Norse Riders. Innerlich reiben sich die diversen Behörden und Abteilungsleiter gegenseitig auf, das gesamte System ist korrupt hoch zehn. Inspector Macbeth passt da eigentlich nicht rein, ist er doch unbestechlich und will wirklich was verändern. Selber der Drogensucht entkommen zählt für ihn mittlerweile nur seine Partnerin Lady, welche mit dem Inverness ein gehobenes Casino in der Stadt betreibt, sowie sein väterlicher Freund Banquo und dessen Sohn. Ins Wanken gerät dies nach einem Einsatz und einer Wahrsagung der drei mysteriösen Schwestern, welche Macbeths kommende Beförderung vorwegnehmen. „Der eine verliert, der andere gewinnt“, sagte Strega. „Dies sind die Gesetze des Dschungels. Mehr Tote, mehr Brot. Und wer bekommt wohl das Brot, frage ich mich, wenn Chief Commissioner Duncan stirbst?“ | Seite 95 Die Übertragung der Handlung in den Mikrokosmos einer Stadt ist Nesbø außerordentlich gut gelungen, und ich mochte vor allem seine Einschübe zu Politik, Macht und die Natur des Menschen in diesem Zusammenhang sehr. Das verkommene äußere der Schauorte spiegelt sich direkt im verkommenen inneren der Charaktere, die alle eine gewisse Ambivalenz haben. Es gibt hier nicht die rein Guten oder Bösen, was vor allem in den Szenen aus der Sicht der Norse Riders offensichtlich wird. MACHT ODER KEINE MACHT? Die Geschichte wird immer wieder aus verschiedenen Sichten erzählt, wodurch der Leser ein gutes Verständnis für die Handlungsweisen der Charaktere entwickelt. Macbeth, Lady und Duff bekommen dabei vermutlich die meiste Aufmerksamkeit, während die Strippenzieher im Schatten bleiben. Über Hecate und Swenjo hätte ich gerne noch mehr erfahren, wobei das unter Umständen zu viel des Guten geworden wäre – Macbeth ist mit 624 Seiten bereits ein echtes Schwergewicht! Trotzdem bleiben manche Szenen recht dünn, während andere zu sehr ausgeschmückt werden. Lady beispielsweise ist gerade zu Beginn die treibende Kraft hinter Macbeth, und besteht auf eine bestimmte Tat ihres Partners nach einem Gespräch. Warum sie so darauf pocht, ist mir nicht klar. Dafür weiß ich aber sehr viel über Lily nach der Lektüre… und diesen Charakter gibt es im ursprünglichen Stück nicht. Generell verrennt sich Nesbø sehr in den Hintergrundgeschichten der Charaktere, was es eigentlich gar nicht bräuchte um ihre gegenwärtigen Taten zu erläutern. Ebenso werden einige Nebencharaktere stark unter die Lupe genommen, von denen ich ebenfalls nicht so viel wissen wollte. Viel spannender ist über lange Strecken des Buches doch, wessen Kopf als nächstes rollen wird. HEIL DIR, MACBETH! Bei einer Neuinterpration wie Macbeth ist der Weg das eigentliche Ziel, denn den Ausgang der Geschichte kennt der Leser vermutlich schon. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung der Schwestern bzw. Hecates Zusicherung haben einige Lücken, und das Stück ist aus gutem Grund eine Tragödie. Nesbø findet für so einige Thematiken optimale Entsprechungen (z. B. Zaubertrank brauende Hexen–Drogen brauende Schwestern, Hierarchie im Staat–Hierarchie in der Polizei; Palast–Casino), die beim Lesen nur umso mehr Spaß machen, wenn das Stück bekannt ist. Das führt mich aber auch zu einem Manko des Buchs: Für mich kam mit dem Wissen des Stücks Hecates Zusicherung an Macbeth zu kurz. Hieran beißt sich Macbeth unglaublich fest und vertraut deswegen auf seine Unberührbarkeit. Die Wirkung verpufft im Buch aber stark: Ein Wald ist etwas unbewegliches, ein Fortbewegungsmittel dagegen etwas sehr bewegliches, Sockel hin oder her. Duffs Erklärung geht im Finale dazu unter und wird durch die reißerischen Umstände überschattet… dabei ist Shakespeares Lösung doch so simpel wie genial! Die Geschichte muss nicht künstlich noch blutiger gemacht werden. „Wir sind keine Helden. Wir sind vollkommen gewöhnliche Leute, die vielleicht davon träumen, Helden zu sein. Aber wenn wir uns entscheiden müssen zwischen unserem Leben und unseren Prinzipien, von denen wir so gerne reden, sind wir ziemlich gewöhnlich.“ | S. 561 Jo Nesbøs Macbeth ist etwas eigenwillig. Die Geschichte braucht am Anfang einiges an Zeit um ins Rollen zu kommen, da sowohl Stadt, Charaktere als auch die diversen Machtkämpfe etabliert werden müssen. Wer die Vorlage kennt, wird vermutlich etwas mehr Spaß an den Umsetzungen und Zusammenhängen haben als Nicht-Kenner, aber auch für die sollte der Roman gut nachvollziehbar sein. Warum die Handlung jetzt gerade in den 1970er Jahre spielen muss? Keine Ahnung, es würde auch in unserer Gegenwart solch eine Stadt funktionieren – vielleicht in Anbetracht der teilweise willkürlichen Polizeigewalt sogar gerade in unserer Gegenwart. Wer sich auf diesen dicken Schmöker einlässt, findet auf jeden Fall einen soliden Macbeth vor, der aber an einigen Stellen noch Luft nach oben hat.

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