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Rezension zu
Der europäische Frühling

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Kontraststark und Entwicklungen auf den Punkt bringend

Von: Michael Lehmann-Pape
21.06.2019

Was am Ende der Lektüre doch auch verbleibt ist, dass Nielsen in diesem Buch, in dem er gegenwärtige Strömungen von Nationalismus, Migrationsproblematik, aber auch die aktuellen Entwicklungen der digitalen Welt intensiv aufnimmt, die wichtigen Sätze und Erkenntnisse doch etwas lapidar eher wie nebenbei mitlaufen, während die Geschichte selbst sich in verschiedenen Erzähllinien eher „innen“ abspielt, in der Entwicklung der Figuren, und nicht „außen“ in den Bedeutungen für die moderne Welt. Was unter anderem (deswegen wohl auch bei „Heyne Hardcore“ erschienen) in expliziten, pornographisch wirkenden Szenen sich wiederfindet, die kein Blatt vor den Mund nehmen, was den Geschlechtsakt angeht, die aber auch, verstörend, auch einer „Unzucht“ das Wort führt (schaut man an, mit wem genau dieser dänische Maler Christian sein Verhältnis pflegt) und der Gedanke, das inzwischen alles auf dieser Welt nurmehr Geschäft ist und mit Geld beglichen werden kann auch auf diese Beziehungsebene noch übertragen wird. Während in Dänemark selbst, am Ende in ganz Europa, das Chaos ausbricht und die Armee dauerhaft eingesetzt wird, gegen Terroranschläge, aber am Ende gegen alles, was anders ist (Muslimisch vor allem) vorzugehen. Nachdem harte Anschläge viele Opfer gekostet haben. Und jeden „Problemfall“ in eine Flüchtlingsstadt nach Mozambique auszulagern, die Dänemark gepachtet und aufgebaut hat. Was auch Stig, den Galeristen, betreffen wird. Denn während er wohl nur Fantasien nachhängt, was für ein „linker und agiler“ politisch denkender Mann er einmal gewesen ist, während dem Leser deutlich wird, dass auch er nur damals den Möglichkeiten der Zeit wie ein „Konsument“ freien Denkens folgte, geht seine Tochter ganz andere, klare Wege. Was vielleicht zu einem Happy-End führen könnte, aber zunächst an vielen Stellen mit Scheitern und Enttäuschungen gepaart ist, in einer Welt, die allseits wenig Toleranz miteinander pflegt und in der, im Buch, vielfache Vorurteile gegen alle Gruppen von Meinungen und religiöser und ethnischer Zugehörigkeit sich breit wiederfinden. Dass Frauen besser voll verschleiert sich durch Gruppen muslimischer junger Männer bewegen, dass man, will man noch eingermaßen „normal“ leben, sich am Besten der Kolonie auf Lolland anschließt (einer Halbinsel, die Nielsen durchaus interessant gestaltet mit ihrer einerseits eher mittelalterlichen Lebensweise in Kleidung und Transportwesen (Esel und Pferde) und andererseits zukunftsorientierten Technik, was Medizin und Drohnen angeht. Diese Perspektive allerdings kommt ein wenig zu kurz hinter den steht den persönlichen, innerlichen und äußerlichen Befindlichkeiten der Protagonisten hauptsächlich zuwendenden Erzählweise. Durchbrochen von Dialogen und Geschichten eines „viel später“, in dem zwei besondere Protagonisten auftreten, philosophisch diese Welt betrachten und am eigenen Leib erleben werden, wie das ist, wenn einer den Fortschritt genießen darf und damit der Körper sehr stabil dem Vergehen der Zeit gegenüber ist und der andere von diesem Fortschritt „ausgeschlossen“ wird. Fehlverhalten wird nicht toleriert, so kann man diese „neue Gesellschaft“ auf Lolland auch verstehen und damit die eine oder andere Parallele zu den „Reichsbürgern“ in Deutschland ziehen. Abgenabelt genug vom alltäglichen Leben im Land selbst sind die Bewohner und Wissenschaftler aus Lolland auf jeden Fall. „Mit der Zeit entwickelte man auch Mittel und Wege, sein Bewusstsein in andere Körper zu übertragen“. Auch tierische Körper. Während also die Welt in ihre Einzelteile zerfällt, folgen bestimmte Personen nur mehr ihrem eigenen Wohlbefinden und neuen Arten der „Unterhaltung“ in einem ziemlich lange andauernden (wenn man das will) Leben. In dem, man beachte „Jack“ im Buch, doch am Ende die „wilden Instinkte“ überall durchbrechen werden. Dass es immer weitergeht, das ist eine der Schlussfolgerungen dieses Werkes, dass aber jenes „wie es weitergeht“ am Ende doch ratlos zurücklässt, auch das gehört zu dieser Lektüre dazu.

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