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Rezension zu
Die Hütte des Schäfers

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Auf der Suche nach Glaube Identität

Von: Franziska_J
19.07.2019

„Wandel ist schwer und Hoffnung ist brutal “ (Liam Rector, »Song Years«) Dieses Zitat geht Tim Wintons Roman Die Hütte des Schäfers voran und es gibt wohl kaum ein geeigneteren Satz, um diese aufwühlende und zugleich herzerwärmende Geschichte eines jungen Ausreißers zu beschreiben, der in der unbarmherzigen aber zugleich wunderschönen Wildnis Australiens auf der Suche nach sich selbst ist. Wer sich entschließt, diese Geschichte zu lesen, der ist bald hin und her gerissen zwischen tiefster Resignation über eine Welt, die scheinbar alles Gute eingebüßt hat und naiver, lebensbejahender Hoffnung, aus der ein Wagemut erwächst, wie nur junge Menschen ihn haben können und der vielleicht doch noch alles zum Besseren wendet. „Alles hat sich geändert. Ich bin nicht mehr, wer ich war. Jetzt bin ich nichts anderes als eine frische Idee, die über den Highway in den Norden rast, wo es heiß und sicher und geheim ist.“ Nur wenige Menschen würden den Tag, an dem der eigene Vater stirbt, als den besten ihres Lebens bezeichnen, doch in Jaxie Clacktons Fall trifft es zu. Nachdem Jaxies Mutter nach langer Krankheit verstorben ist, rutscht der ohnehin schon alkoholsüchtige und gewalttätige Vater völlig ab, so dass Jaxie sich kaum noch nach Hause traut. Dabei erscheint er auf den ersten Blick überhaupt nicht ängstlich. Nein, er verkörpert vielmehr den klassischen Schlägertyp. Doch Winton ist es mit Jaxie gelungen, einen psychologisch sehr ausgefeilten und komplexen Hauptprotagonisten zu schaffen, der an der Oberfläche unnahbar und cool erscheint, doch innerlich zutiefst zerrissen ist und Angst hat, eines Tages genau so gewalttätig wie sein Vater zu werden. Er weiß einfach nicht, woran er noch glauben kann. Jedenfalls nicht an andere Menschen und seinen Glauben an einen Gott hat er, falls er jemals wirklich vorhanden war, nach unerhörten Gebeten verloren. „Ich ging einfach. Setzte mich in Bewegung und blieb in Bewegung. Tagelang war ich nichts anderes, nur dieses verrückte, sich bewegende Ding. Das vorwärtsdrängte, sich schleppte, ging.“ Doch plötzlich scheinen seine Gebete auf eine seltsame Weise erhört zu werden, so kommt es Jaxie zumindest vor. Als er eines Tages nach Hause kommt, findet er seinen Vater im Schuppen, erschlagen von seinem Auto. Aus Angst, wegen Mordes an ihm bezichtigt zu werden, packt Jaxie in aller Eile ein paar Sachen zusammen und verschwindet. Sein Ziel: Der Norden, wo seine Cousine Lee wohnt, in die er sich verliebt hat. Fernab von seiner grausamen Vergangenheit, will er mit ihr ein neues Leben beginnen. Doch zunächst muss er die 300 km bis zu ihr irgendwie zurücklegen. Als er losgeht ahnt er nichts von den Gefahren, denen er auf seinem Weg begegnen wird und er ahnt auch nichts von dem Hunger und der sengenden Sonne über der australischen Salzwüste. Seine Naivität muss er beinahe mit dem Leben bezahlen. „Dieser Ort, an den ich verbannt wurde. Die Hitze und das Salz und die Fliegen. Ein Ort, der so leer ist, dass die Gedanken wie Echos zu einem zurückkommen.“ Winton, der selbst in Australien geboren wurde und auch heute noch dort lebt, schafft es, diesen Kontinent der Extreme facettenreich und detailliert zu beschreiben. In einfachsten Worten schildert er einerseits die Schönheit der Wildnis, andererseits aber auch die Gluthitze der Wüstenhölle, der Jaxie sich plötzlich ausgeliefert sieht. Er muss erkennen, dass wahre Freiheit wohl anders aussieht und dass er hier draußen nichts weiter ist als ein „Gefangener in Freiheit.“ Auch seiner Vergangenheit kann er nicht entkommen, denn in seinem Kopf verfolgt ihn seine Familie weiterhin und so wird diese Reise nicht nur zum Kampf um das eigene Überleben, sondern auch zu einem Kampf gegen die Geister der Vergangenheit. Große Teile des Buches sind darum Rückblenden, die der Rahmenhandlung aber keineswegs die Spannung entziehen, sonder vielmehr immer feinere psychologische Facetten des Protagonisten herausarbeiten und so Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf geschickte Weise miteinander verweben. „Er war einer von diesen Knaben, die so lange allein waren, dass sie den ganzen Tag mit sich selber redeten, sich sagten, was sie gleich tun würden, was sie tun sollten, was sie zu tun vergessen hatten. Er redete so verdammt viel, dass es sich anfühlte, als würde er einen mit Schrott bewerfen.“ Am Ende seiner Kräfte stößt Jaxie auf eine heruntergekommene Schäferhütte, in der ein alter Mann schon seit vielen Jahren lebt. Da Jaxie keine andere Wahl hat, kommt er bei ihm unter. Die beiden begegnen sich mit viel Misstrauen, denn wer hier draußen unterwegs ist, der muss entweder verrückt oder auf der Flucht sein. Doch nach und nach nähern sich die beiden an und es entwickelt sich fast so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen. Mit Hilfe des alten Mannes, der sich als Priester herausstellt, lernt Jaxie einige wichtige Lektionen in Sachen Vertrauen und Moral und er stellt fest, dass er ein eigenständiger Mensch und kein bisschen wie sein Vater ist. Am Ende machen plötzlich all die erlittenen Qualen einen Sinn und Jaxie kann mit Sicherheit sagen, wer er nicht ist bzw. nicht sein will. Erst jetzt ist er wirklich bereit, seiner großen Liebe gegenüber zu treten… Mit Die Hütte des Schäfers ist Winton ein Meisterwerk der psychologischen Zwischentöne gelungen, eine wunderbare Geschichte übers Erwachsenwerden, über Identität und nicht zuletzt über den Glauben an eine bessere Zukunft, die ein jeder selbst in seinen Händen hält.

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