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Rezension zu
Gespräche mit Freunden

Die Lebenswirklichkeit einer Generation...

Von: ricysreadingcorner
27.08.2019

Worum geht’s? Frances und ihre beste Freundin Bobby sind Studentinnen in Dublin und waren mal ein Paar. Sie treten gemeinsam bei Spoken Word Events auf und besuchen Literaturveranstaltungen. Bei einer dieser Veranstaltungen lernen sie das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Melissa ist Fotografin und möchte einen Beitrag für ein Literaturmagazin über die beiden veröffentlichen. Sie treffen sich zum Essen, auf verschiedenen Veranstaltungen und verreisen gemeinsam. Sie unterhalten sich über Liebe, Sexualität, Politik, Kunst und Literatur und vor allem über sich selbst. Während Bobby von Melissa fasziniert ist, fühlt sich Frances immer mehr zu dem Schauspieler Nick hingezogen und die beiden beginnen eine Affäre. Es entsteht ein kompliziertes Beziehungsgeflecht in dem jeder versucht, seinen Platz und Anerkennung zu finden. Meine Meinung Spätestens seit ihrem Roman Normal People ist Sally Ronney zumindest in Irland und Großbritannien in aller Munde. Nun ist ihr Debütroman Conversations with Friends endlich auf Deutsch erschienen und ich kann sofort sagen, dass ich diese Begeisterung verstehen kann! Ich finde es nicht leicht, zu erklären, was mich so sehr an diesem Roman fasziniert hat. Die Geschichte an sich ist ja nichts Neues. Eine zufällige Bekanntschaft, die in einer Dreiecks- oder in diesem Fall wohl eher Vierecksbeziehung mündet. Eifersucht, Untreue, Drama, Unsicherheit…das gab es schon tausendfach, aber die Art, wie Sally Rooney darüber schreibt und worauf sie den Fokus legt, ist so besonders. Hier steht nicht die Beziehung an sich im Mittelpunkt, sondern die Beobachtungen und das Innenleben der Protagonistin, die versucht ihren Platz in der Welt zu finden, sich ausprobiert und dabei immer besonders auf ihre Außenwirkung auf und die Anerkennung durch die Personen in ihrem Umfeld bedacht ist. Der Großteil des Romans ist durch – wie der Titel schon sagt – Gespräche unter den Freunden auf Veranstaltungen, bei Abendessen, gemeinsamen Unternehmungen und auch im Rahmen von E-Mails und Telefonaten geprägt. In diesen Gesprächen geht es mal um aktuelle Themen: Politik, Religion, Gender-Fragen, um Kunst und Literatur aber auch um Sexualität, Freundschaft, persönliche Ansichten, Vorstellungen und Empfindungen. Die Protagonistin Frances ist Anfang 20, intelligent, hübsch und ziemlich gebildet. Nach außen wirkt sie kühl und unnahbar, doch innerlich ist sie ziemlich unsicher, ständig auf der Suche nach sich selbst. Ihre Gefühle und Bedürfnisse und Taten und Worte gehen oft weit außeinander, weil sie immer sehr darauf bedacht ist, wie sie wohl auf andere Personen wirkt. Sie denkt sogar von sich selbst, dass sie keine wirkliche Persönlichkeit hat. Sie studiert Literatur und versucht sich selbst als Schriftstellerin. Einen wirklichen Plan davon, was sie mit ihrem Leben anfangen will, hat sie aber nicht. Ein normaler Job gehört jedenfalls nicht dazu. Sie beginnt eine Affäre mit dem älteren und zudem verheirateten Schauspieler Nick, sie verliebt sich, aber er liebt seine Ehefrau noch immer und möchte sie nicht verlassen. Frances gehört natürlich zu der Generation, die mit Polygamie und Polyamorie gar kein Problem hat, die vollkommen offen und Tolerant jeder Art von Lebensweise und Beziehung gegenüber ist. Das möchte sie zumindest von sich denken und so stört es sie umso mehr, dass sie mit der ganzen Sache doch nicht ganz so glücklich und ungezwungen umgehen kann. Dann wird sie auch noch krank, was ihr Selbstbild weiter ins Wanken bringt. Obwohl ich mit Frances nicht viel gemeinsam habe und sie zudem nicht sonderlich sympathisch finde, konnte ich mich sehr gut in sie hineinversetzen und mit ihr mitfühlen. Das hat die Autorin mit der unglaublich authentischen und facettenreichen Charakterzeichnung einfach geschafft. Die klugen Beobachtungen, die Frances über ihr eigenes Verhalten und das ihrer Freunde anstellt, kamen mir dabei immer wieder bekannt vor. In unserer heutigen Zeit, in der uns alle Möglichkeiten offenstehen, wird Eigenengagement und Selbstverwirklichung vorausgesetzt, sehr viel Toleranz, Offenheit und Lockerheit erwartet, vor allem wenn man jung ist. Wie viele Menschen geben sich wohl nur so, wie sie sich verhalten, weil sie gerne so gesehen werden möchten oder weil sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird? Das ist eine Frage, die mir beim Lesen immer wieder in den Sinn kam. Frances will insgeheim mehr von der Beziehung, als Nick ihr geben kann oder möchte. Auf der anderen Seite gibt sich immer so ironisch und kalt, dass Nick vermutet, sie habe gar keine Gefühle. Auch als sie krank wird, steht für sie sofort fest, dass sie niemandem davon erzählen wird. Bloß keine Schwäche zeigen. Krank zu sein, passt nicht zu dem Bild, das sie gerne von sich haben möchte, deshalb darf es auch keiner erfahren. Ihre Eltern leben getrennt und vor allem die Beziehung zu ihrem Vater ist ziemlich zerrüttet. Sie versucht den Kontakt zu ihnen so gering wie möglich zu halten. Und plötzlich ist sie allein. Statt sich anderen anzuvertrauen, ehrlich zu sein und zu ihrer Verletzlichkeit zu stehen, baut sie lieber eine Mauer um sich auf, denn zuzugeben, dass es ihr nicht gut geht, würde ihrem Ziel entgegenstehen, ein fröhliches Mädchen zu sein. Auch die anderen Charaktere sind sehr interessant und vielschichtig. Die hübsche und extrovertierte Bobby, die mit ihren Argumenten jeden Gesprächspartner in die Ecke drängen kann. Die undurchschaubare Melissa und der ruhige Nick…ein Ehepaar mit Problemen. Spannend ist vor allem wie die Dynamik der Gespräche dargestellt wird. Es geht nicht nur um Meinungsaustausch, sondern vor allem um Selbstdarstellung. Vielmehr als nur die eigene Meinung zu vertreten, geht es darum gekonnt argumentieren und mit dem eigenen Wissen zu trumpfen, komplizierte Fachbegriffe einzuwerfen, intelligent zu wirken. Statt wirklich die eigene Meinung, die eigenen Gefühle zu kommunizieren, ist es wichtig, cool zu wirken, bloß keine Unsicherheit zu zeigen. Was Frances hier beobachtet, ohne es zu benennen oder zu bewerten, ist mir selbst schon oft in Gesprächen aufgefallen, aber dieser Roman macht es mit einer Art und Weise, die mich oft schmunzeln ließ, einmal richtig deutlich! Ohne Schnörkel zeigt Gespräche mit Freunden einen authentischen Ausschnitt aus der Realität einer jungen Frau in der heutigen Zeit. The Independent schreibt über die Autorin, sie sei “die wichtigste literarische Stimme der Generation Y.” und ich denke, da ist was dran. Selten habe ich einen Roman gelesen, der so authentisch und direkt die alltäglichen Probleme, die Lebenswirklichkeit dieser Generation auf den Punkt bringt. Fazit Gespräche mit Freunden hält das, was der Titel verspricht. Es geht um Freunde, die sich über alles mögliche und vor allem sich selbst unterhalten und um eine Protagonistin die sich und die anderen dabei scharfsinnig beobachtet. Wie sehen die anderen mich und wie möchte ich gesehen werden? Das sind die Fragen, die bei diesen Beobachungen eine wesentliche Rolle spielen und zum Nachdenken anregen. Ich habe dieses Buch verschlungen!

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