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Rezension zu
Puppentod

Kein wirklicher Krimi, aber ein erschütterndes Missbrauchs-Drama

Von: Büchermonster
29.03.2020

Skandinavienkrimis gibt es mittlerweile wie Sand an der Ostsee und um aus der Masse an (zum großen Teil qualitativ wirklich guten) Spannungsromanen aus Schweden, Dänemark, Norwegen und Co. hervorzustechen braucht es inzwischen deutlich mehr als eine düstere Atmosphäre, traumatisierte Ermittlerfiguren oder brutale Morde. Über die Bücher des schwedischen Autorenduos Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist kann man sicherlich geteilter Meinung sein, eines tun sie aber mit Sicherheit nicht: dem typischen Schema F folgen. Wo „Erik Axl Sund“ – so das gemeinsame Pseudonym des Duos – draufsteht, da ist auch Erik Axl Sund drin. Ein Film-Nerd gegen die Monster Stockholms Diese gewisse Eigenwilligkeit konnte man schon bei ihrer sehr erfolgreichen Victoria-Bergman-Trilogie (auf Deutsch unter den Titeln „Krähenmädchen“, „Narbenkind“ und „Schattenschrei“ erschienen) feststellen, wird aber bei der Folgereihe noch offensichtlicher. Das beginnt bereits bei der Tatsache, dass sich die Autoren diesmal nicht einmal auf eine typische Hauptfigur festlegen wollen. Stand im ersten Band der neuen „Kronoberg“-Serie noch Kommissar Jens Hurtig (den man auch schon als Nebenfigur der ersten Trilogie kannte) im Fokus, so wird dieser diesmal nur in wenigen Randsätzen erwähnt, aus denen aber zumindest hervorgeht, dass die Geschichte des zweiten Bandes „Puppentod“ ungefähr parallel zu den Geschehnissen in „Scherbenseele“ spielt. Am ehesten übernimmt die Ermittlerrolle nun der Polizeibeamte Kevin Jonsson, vom Typ eher introvertierter Film-Nerd statt knallharter Kommissar, dessen Aufgabengebiet im Bereich Internetkriminalität mit dem Schwerpunkt auf der Sichtung und Analyse pornographischer Bilder und Videos liegt. Dabei bekommt es der junge Polizist täglich mit den tiefsten Abgründen der menschlichen Seele zu tun und sieht Material, dass seine schlimmsten Albträume teilweise noch übertrifft – eine Arbeit, die ihn immer wieder auch an die eigenen Grenzen und darüber hinaus bringt. Ein persönliches Drama reiht sich an das nächste Allerdings ist auch Kevin Jonsson eher eine Randfigur in dieser Geschichte, bei der die Untersuchung eines vermeintlichen Suizids eines jungen Mädchens nur der Aufhänger ist. Denn „Puppentod“ ist weder ein klassischer „Whodunit“-Krimi noch ein typischer „Psychothriller“, wie es auf dem Buchcover steht, sondern vielmehr eine Vermischung von Einzelschicksalen, die sich fast schon beiläufig zu einer Art Krimi-Handlung zusammenfügen. Hier geht es nicht groß um Spurensuche oder Zeugenbefragungen, sondern eher um die Lebensgeschichten der Beteiligten: z.B. der junge Polizist, der als kleines Kind von seinem Onkel missbraucht wurde und in seinem täglichen Kampf gegen genau solche Täter immer wieder an der eigenen Vergangenheit zu zerbrechen scheint. Oder die aus einer eher wohlhabenden nigerianischen Familie stammende Teenagerin, für die mit der aufgedeckten Homosexualität ihres angesehenen Vaters eine Odyssee des Grauens startet, die mit Prostitution und demütigenden Pornos mitten im „heilen“ Schweden noch lange nicht am Ende ist. Oder der Sozialarbeiter, der Tag für Tag aufs Neue versucht, Mädchen mit genau solchen Leidensgeschichten einen Neustart zu ermöglichen und dabei auch von eigenen Erfahrungen angetrieben wird. Oder der vermeintlich treue Familienvater, der seinen dunklen Triebe mit gekauftem Sex mit minderjährigen Mädchen im Alter seiner eigenen Tochter befriedigt und sein Gewissen damit beruhigt, dass er sich einredet, dass auf der Welt Menschen noch zu viel Schlimmeren Taten fähig sind und er im Vergleich zu Tätern wie dem „Kannibalen von Rothenburg“ noch harmlos ist. Sexuelle Gewalt als traurige Routine An dieser Zusammenstellung erkennt man, dass „Puppentod“ alles andere als leichte Kost ist und wer beim Lesen nicht mit sexuellem Missbrauch und Pädophilie konfrontiert werden möchte, der sollte um dieses Buch lieber einen ganz großen Bogen machen – denn fast in jedem einzelnen Kapitel stößt man auf derartige Gräueltaten. Allerdings schildern Eriksson und Sundquist diese Szenen nicht voyeuristisch, sondern beinahe schon kühl und distanziert und überlassen konkrete Details meist der Fantasie ihrer Leser – das richtige Grauen spielt sich hier also oft im Kopf ab, was das Ertragen dieser Passagen aber nicht unbedingt einfacher macht. Tatsächlich fängt diese nüchterne Erzählung aber perfekt den Zustand der Abgestumpftheit ein, in dem sich so viele Charaktere dieses Buches befinden. So sind Demütigungen und sexuelle Gewalt für manche der Opferfiguren inzwischen längst traurige Routine, die man eben über sich ergehen lässt, um sich von dem angeschafften Geld vielleicht irgendwann mal ein Ticket heraus aus diesem andauernden Albtraum kaufen zu können. Männer, die Frauen hassen Auch wenn das Autorenduo manchmal vielleicht etwas zu dick aufträgt und es stellenweise doch etwas unwahrscheinlich wirkt, dass wirklich fast jede Figur dieser Geschichte ein Trauma dieser Kategorie mit sich herumträgt, so kann eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass ein Großteil der geschilderten Zustände in diesem Buch tatsächlich traurige Realität sind – und genau das macht „Puppentod“ so erschütternd. Viele Täter kommen ungestraft davon und zerstören über Jahre hinweg das Leben ihrer Opfer und die meisten dieser Geschichten gehen ohne Happy End aus. Sollte dann doch einmal das Gute gewinnen, dann hat diese kleine Sieg der Gerechtigkeit oft einen hohen Preis für die Beteiligten. „Erik Axl Sund“ fangen diese Gnadenlosigkeit ohne jede Illusionen und Beschönigungen sehr genau ein und zeichnen hier ein sehr deprimierendes und erschütterndes Bild der menschlichen (und vor allem männlichen) Gesellschaft. Diese Darstellung erinnert manchmal fast ein wenig an die Romane Stieg Larssons, von denen der erste Band „Verblendung“ nicht ohne Grund im schwedischen Original übersetzt „Männer, die Frauen hassen“ heißt. Dies wäre ohne Frage auch ein passender Titel für den zweiten Teil der „Kronoberg“-Reihe, welche im Schwedischen übrigens auch etwas treffender „Melancholie-Trilogie“ heißt. Kein wirklicher Krimi, aber ein erschütterndes Missbrauchs-Drama Bitte den Vergleich nicht falsch verstehen: an die schriftstellerische Qualität der ursprünglichen „Millennium“-Trilogie kommt „Puppentod“ nicht heran, dafür fehlt dann letztlich doch eine mitreißende Ermittlung, die sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht. Hier ist das Werk von Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist vergleichsweise zu sprunghaft und etwas zu viel Stückwerk. Krimifans mag der eher rudimentäre Fall daher möglicherweise enttäuschen, wer skandinavische Spannungsromane aber vor allem wegen ihrer düsteren Stimmung und der gebrochenen Charaktere liest, der bekommt davon in „Puppentod“ auf jeden Fall genug geboten – manchmal sogar mehr, als zu ertragen ist.

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