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Rezension zu
Ein Jahr auf dem Land

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Von hier aus geht's aufs Land

Von: Stephanie Jaeckel
13.07.2015

in Anna Quindlens diesjährigem New York Times Bestseller. Wenn ich als Leserin einen Tipp geben darf, dann diesen: ein sonniges Plätzchen suchen, am besten für einen langen Wochenendtag, mit einem heißen Kaffee beginnen und dann über Rhabarberschorle, geeisten Joghurtdrink am frühen Abend zum Landwein übergehen, und – wer danach noch schlafen kann – mit einem Espresso enden. Der Roman ist eine Ferienlektüre, eine, die in einem Rutsch gelesen werden will. Das steht so natürlich nicht im Klappentext, aber gäbe es Gebrauchsanweisungen für Bücher, und wäre ich Gebrauchsanweisungsschreiberin, nun, ich würde das Buch unter eben diese Rubrik einordnen. Oder unter Wohlfühlbuch, wo nichts, weder Scheidungen, ekelhafte Ehemänner, verrückte Geschwister, demente Eltern noch Geldsorgen wirklich weh tun. Das sind alles Schicksalsschläge, die den Gang der Dinge am Laufen halten, nie wirklich existentielle Sorgen. Auch wenn schon mal der Strom ausgeht und nur noch trockene Toastbrotscheiben im Kühlschrank gammeln. Es gibt allerdings keine Gebrauchsanweisungen für Bücher, also schreibe ich, was ich gelesen habe. Erst mal eine Geschichte, die mir nah geht. Ich bin zwar noch nicht ganz so alt, ich habe weder einen Ex-Mann, noch Kind, ich bin nie berühmt gewesen, und sei es nur für eine einzige Fotoserie, ich lebe auch nicht in New York. Dafür kenne ich das Problem des Allein-seine-Frau-Stehens, das Gefühl, älter zu werden, die Lust am Fotografieren und die saumselige Art liebloser Mütter. Außerdem mag ich Geschichten, die in alte, verkommene Häuser führen, wo improvisiert werden muss, um aus dem Umheimeligen wieder ein zu Hause zu machen, übrigens ein Aspekt in Esther Kinskys “Am Fluss”, der mir ausnehmend gut gefallen hat. Rebecca Winter lernen wir in ihrer dritten Nacht in einem “maroden kleinen Haus” an einer namenlosen Straße irgendwo in der amerikanischen Provinz kennen, wie sie aus dem Schlaf fährt, weil sie einen Schuss, oder das, was sie für einen Schuss hält, hört. Ihr ist, wie zu erwarten, unheimlich, aber sie bleibt stocksteif vor Schreck und vor Ratlosigkeit liegen, denn weder Uhr noch Handy können ihr in dieser fremden Dunkelheit im Funkloch Orientierung geben. Wir ahnen es schon, sie ist wirklich am Ende der Welt angelangt, wäre da nicht so ein feines kleines Café, in dem es garantiert immer beste Muffins und Scones gibt, eine Wirtin mit dem Herzen am rechten Fleck und gleich am Morgen nach dem vermeintlichen Schuss einen Mann wie ein Schrank, der – ich ahne es bereits auf Seite 14 – der zukünftige Mr. Right sein wird: “Er hatte ein verbeultes Metalletui aus der Gesäßtasche gezogen und ihr eine Visitenkarte gegeben. Seine Hände, fand Rebecca, schrien förmlich danach, fotografiert zu werden. Auf den Handrücken wuchsen helle Härchen, und die Hände waren übersät von Narben: winzigen Linien, größere Kreise, am Rand der einen Handfläche schlängelte sich eine lange, hellrosa Zickzacklinie entlang. Am linken Zeigefinger fehlte das letzte Fingerglied. In Schwarz-Weiß, das wusste Rebecca, würden die Narben stärker hervortreten, die Härchen wie fein schraffiert wirken.” Von da an mache ich mir keine rechten Sorgen mehr. Hier und da tropfen kleine Geldsummen auf ihr geschrumpftes Konto, ulkige Vergütungen wie ein Preis, von einem reichen Hobbymaler ins Leben gerufen, der nur an ältere Kunstschaffende ausgegeben wird und kaum einen Heller (bzw. Dollar) wert ist. Mit zu großem Ego wäre für Rebecca vielleicht schon hier Schluss, denn es ist klar, dass die Auszeichnung fast so etwas wie ihr Gegenteil ist, als PreisträgerIn ist man zumindest schon lange Zeit weg vom Fenster (und aus den Galerien). Gut gefällt mir, dass Rebecca ausgerechnet mit einem Foto von ungespültem Geschirr und Resten eines Abendessens mit Freunden ihre Karriere beginnt, einem Foto das ihre verkorkste Ehe zeigt und den hochtrabenden Titel “Stillleben mit Brotkrümel” trägt. Verkorkste Ehe deshalb, weil ihr Mann Peter eine diebische Freude daran hat, seine Frau abends mit umangekündigten Gästen zu überraschen, die dann nicht nur standesgemäß (der Mann ist Professor) bewirtet werden, sondern hinter denen, bis der Mann am nächsten Morgen wieder in der Küche erscheint, auch noch penibel hergeräumt werden muss (dass alles noch schlimmer kommt, ist auch hier schon vorauszusehen). Auch später, wenn sie ihren Sohn oder dessen Spielzeug fotografiert, wird das unter feministischen Vorzeichen markttauglich gemacht, während sie eigentlich nur ihren goldenen Käfig von innen ablichtet. Dass die Autorin ausgerechnet Rebeccas Profession, die Fotografie, zu einem Angelpunkt ihrer Veränderung macht, überzeugt mich allerdings nicht. Auch wenn ich über die anderen Klischees großmütig hinwegsehe, weil die Geschichte, trotz aller Vorhersehbarkeit süffig zu lesen ist und gute Laune macht, weil zumindest hier mal alles ziemlich schnell funktioniert und die Probleme, die einen im Leben Wochen, Monate, auch mal Jahre im Weg stehen, ratzfatz erledigt werden. Und weil wir dauernd in den Wald gehen, einen süßen Zottelhund als Mitbewohner bekommen und Muffins satt essen, ohne zuzunehmen. Nicht, dass ich ihr nicht abnehme, dass das Landleben eben doch einen Zauber haben kann und Großstadtneurotikerinnen, wie Rebecca eine ist, auf einige elementare Dinge des Lebens zu stoßen in der Lage ist. Was ich ihr nicht abnehme, dass sie früher nur Formen, Linien, Schattierungen und Kontraste gesehen hat, um ihre Fotos zu machen und erst in der Einsamkeit des Waldes angesichts merkwürdiger Kreuze, die dort scheinbar wie Pilze aus dem Boden wachsen, das Leben hinter der Kamera wahr nimmt. Doch nicht, wenn man vorher so sehr die Enge des eigenen Lebens zeigt – !? Vielleicht ist die Geschichte nicht die eines “Neubeginns”, wie der Klappentext verspricht, sondern die eines langsamen Ankommens. Und zwar auf den noch nicht so ausgetretenen Spuren vom Luxusappartement am Central Park in ein namenloses Kaff am Rand eines wilden Waldes. Ende gut, alles gut. Allerdings hätte es mir besser gefallen, Rebecca wäre in dem alten klapprigen Häuschen geblieben, statt sich auf dem Grundstück ein nagelneues Haus aus Glas und Zedernhaus mit einem Zinkdach zu bauen, von dem Geld, was natürlich auch wieder fließt. Herzlichen Dank an Random House für die Zusendung eines Rezensionsexemplars.

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