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Rezension zu
Kasse 19

Die Sprache strömt

Von: Bjoernandbooks
04.07.2023

In der Schule nimmt es seinen Anfang. Das Mädchen schreibt und schreibt und schreibt, auch in die Schulhefte, die die Lehrer nach der Klassenarbeit einsammeln. So entdeckt Mister Burton eine ihrer ersten Geschichten, ans Ende ihres Heftes gekritzelt, und er ist begeistert. Fortan schreibt sie weiter, lässt sich von den Ereignissen, die um sie herum passieren, inspirieren, von der Umgebung in der Arbeiterstadt, in der für freigeistige Menschen, für Denker*innen, so wenig Platz zu sein scheint. Besonders ihr Alltag an der Supermarktkasse Nummer 19, die anstrengenden und auslaugenden Neun-Stunden-Schichten, lassen ihren Blick auf die Welt schärfen. Und dann gibt es da natürlich die Lektüren, das Lesen dessen, was andere zu Papier gebracht haben – zumeist Männer, aber nach und nach auch Frauen, auch wenn sie bei der Literatur von Autorinnen einen Sicherheitsabstand unterschritten sieht, den sie so gerne einhält. Lesen und Schreiben, Realität und Erdachtes vermengen sich zu einem großen Ganzen, in dem die Erzählerin an sich selber wächst, geistig heranreift. „Wie unbefangen, wie instinktiv ich alles von mir werfe. Ich will, aber bitte noch nicht jetzt. Nein, noch nicht. Nicht jetzt. Das ist es wohl, was ich damals gedacht habe“ (S. 157) Ein spannender, vielfältig fordernder Text ist „Kasse 19“ der vielfach ausgezeichneten, aufstrebenden Autorin Claire-Louise Bennett. Nahezu ohne die Narration vorantreibenden Plot zeichnet sie die Geschichte einer Frau, die sich im Leben positioniert, die sich oftmals in Abgrenzung zu anderen zu verorten versucht. Dabei hilft ihr ihre Fantasie, Gedankenkonstrukte, die sie in andere Welten entführen, wie beispielsweise ihre Geschichte um Tarquin Superbus und seine Bibliothek der leeren Seiten... Besonders zu Beginn der Lektüre erinnerte mich „Kasse 19“ stark an die assoziative Kraft einer Ali Smith, die, ebenso wie Bennett, den Finger am Puls der Zeit hat, genau nachspürt, dort hingeht, wo es weh tut, wo es unangenehm wird. Die Meta-Geschichten, die Erzählungen der Protagonistin, tendierten dann wiederum in die Richtung eines David Mitchell, bei dem sich Wirklichkeit und Fiktion, gerade auf der Zeitebene, ähnlich wie auch hier verdichten. Bennetts Erzählen ist feministisch: Mit reflektiertem Tiefgang, aber auch einer gehörigen Portion emotionaler Emphase sinniert das Ich zum Beispiel über die Farbe des ersten Menstruationsblutes, lässt die Toxizität von Beziehungen Revue passieren oder wirft einen kritischen Blick auf den männlich dominierten literarischen Kanon. All dies wird jedoch nie zum alleinig beherrschenden Thema des Romans, der schillernd oszilliert und fluide die einzelnen Gedanken ineinander übergehen lässt. Gerade in der ersten Hälfte ist dieses literarische Experiment dabei ein großes Vergnügen, schafft es doch durch die sprachliche Aufbereitung massiv zu begeistern. Im Verlauf der zweiten Hälfte verliert es manches Mal aus meiner Sicht ein wenig an Fokus; auch die aufkommenden Textspielereien wie komplett oder partiell weggelassene Satzzeichen tragen zu diesem Eindruck bei, lassen sich die funktionalen Bedeutungen doch nicht direkt erkennen. „Kasse 19“ ist daher ein Buch für den zweiten, dritten und vierten Blick. Vielschichtig ist Bennetts narrativer Kosmos, dessen einzelne Lagen nur schwer in Gänze dechiffrierbar sind. Da verlieren wir als Leser*innen gerne einmal für etwas längere Zeit den Anschluss, bevor sie uns wieder mit einem neuen Gedanken, einer neuen Überzeugung einfängt. Mit Sicherheit ist dieser Roman nicht für jede*n Leser*in etwas, aber für Freund*innen des bedachten und entschleunigten Lesens bietet dieser Text reihenweise kluge Entdeckungen. Ein Roman für diejenigen, die sich Zeit nehmen wollen und können!

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