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Rezension zu
Die kleinen Lügen der Ivy Lin

Fesselnde und beeindruckende Charakterstudie

Von: Zeilentaenzer
17.10.2023

Ivy ist die Tochter chinesischer Einwanderer in den USA. Sie erlebt ihr Elternhaus sehr konservativ-traditionell und fühlt sich in Folge dessen nie ganz zugehörig in den Staaten. Das führt dazu, dass in Ivy der Wunsch wächst ein Leben zu leben, das viel schöner und aufregender als ihr eigenes ist. Sie verliebt sich in den aus guten Verhältnissen stammenden Gideon Speyer, der sie ihrem Ziel näher zu bringen scheint. Ivy beginnt mit kleineren und immer größer werdenden Lügen an einem perfekten Leben zu basteln. Doch damit geht auch ein hoher Preis einher. Hier hat mich das Cover wirklich beeindruckt. Ich mag die Schlichtheit der Schwarzweiß-Aufnahme sowie die auf dem Buchdeckel aufgedruckten Pressestimmen. Das kann als sehr störend empfunden werden, in diesem Fall aber ergibt es für mich ein harmonisches Gesamtbild und macht neugierig auf den Inhalt. Nach wenigen Seiten fühlte sich der Roman für mich eher nach einer gut konstruierten Charakterstudie als einer fiktiven Geschichte an. Ivy ist vier als ihre Eltern Nan und Shen und ihre Großmutter Meifeng mit ihr und ihrem Bruder Austin aus China in die USA auswandern. Die Familie lebt in Massachusetts, wo Ivy die Schule besucht, aber wenig Anschluss findet. Ihr einziger Freund ist lange Zeit der rebellische Außenseiter Roux Roman, der für sie schwärmt und weiß, dass sie heimlich stiehlt. Die Eltern von Ivy versprachen sich von ihrer Immigration in die Staaten ein einfacheres Leben und bessere Zukunftschancen. Sich zu integrieren fällt aber besonders ihrer Mutter Nan und ihrer Großmutter Meifeng nicht leicht, die sehr konventionell veranlagt sind und sich mit der englischen Sprache schwer tun. Nan ist äußerst streng mit ihrer gesamten Familie, was insbesondere Ivy zu spüren bekommt. Während ihr Vater Shen den passiven Part einnimmt, hat ihre Mutter genaue Vorstellungen vom Leben ihrer Tochter. So wünschst sie sich einen beruflich erfolgreichen Schwiegersohn mit chinesischen Wurzeln. Ivy rebelliert im Stillen, trifft sich heimlich mit Roux und geht auf eine Party von ihrem beliebten Mitschüler Gideon, in den sie schon länger verliebt ist. Mit der Zeit distanziert sich Ivy, die inzwischen als Lehrerin in Boston arbeitet, immer mehr von den altertümlichen Ansichten ihrer Mutter und Großmutter, ist der Unterwürfigkeit ihres Vaters überdrüssig und bemitleidet ihren immer niedergeschlagen wirkenden Bruder Austin. Sie entwickelt eigene Lebensvorstellungen, die besonders darauf abzielen als erfolgreich wahrgenommen zu werden und sorglos zu sein. Ein Leben, das ihre Familie nicht kennt. Susie Yang schreibt bildhaft, sodass ich mich durchweg in die beschriebenen Situationen hineindenken und fühlen konnte. Die faszinierende und immer intensiver werdende Persönlichkeitsentwicklung von Ivy erzeugt beim Lesen Suchtcharakter. Die Schilderungen der Autorin zeugen von enormer Raffinesse und Fingerspitzengefühl. Es ist nicht übertrieben, wenn ich mich der Meinung des Boston Globe anschließe und das Buch als absoluten Pageturner bezeichne. Selten fiel es mir so schwer eine Geschichte aus den Händen zu legen, zu mitreissend und elektrisierend empfand ich die das Erzählte. Die Rückblicke in die Vergangenheit der Familie Lin empfand ich als sehr berührend, auch wenn mich manches mit Unverständnis zurück ließ. Interessant sind auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der verschiedenen Familienmitglieder und ihr voneinander abweichender Umgang mit dem neuen Leben in Amerika. Die Inhaltsangabe erinnert an einen Thriller, den man so nicht erwarten kann. Viel mehr könnte man »Die kleinen Lügen der Ivy Lin« als charakteristisches Gutachten verstehen. Der gesellschaftskritische Blick der Autorin eröffnet den Leser:innen neue Blickwinkel und die dramatischen, teilweise schockierenden Wendungen in Kombination mit den messerscharfen Beobachtungen menschlichen Verhaltens von Yang runden die Geschichte ab. Lange habe ich kein Buch gelesen wie dieses: klug, menschlich, düster und absolut beeindruckend. Susie Yang gelingt es durch ihre fesselnde Schreibweise, die beeindruckend entworfene Familienbiografie und ihr gutes Gespür für menschliche Abgründe das Leben einer jungen Frau zu zeichnen, das auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Lüge wandelt.

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