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Rezension zu
Lucy Gayheart

Spätwerk einer Meisterin

Von: Buecherbriefe
03.11.2023

In ihrem 1935 erschienenen Spätwerk Lucy Gayheart spielt Willa Cather gleich mehrfach mit den Erwartungen ihrer Leserschaft. Doch kann der auch Roman darüber hinaus überzeugen? Das Leben als Bühne Das Leben scheint es mit der jungen Lucy Gayheart gut zu meinen: Als Tochter eines deutschen Musiklehrers und Uhrenmachers ist sie ihrem provinziellen Heimatdorf Haverford in Nebraska entkommen und studiert erfolgreich Musik in der Großstadt Chicago. Ihr Heimatdorf vergöttert sie, ihr Professor respektiert sie und schon während des Studiums erhält sie erste Jobangebote. Und auch der reiche und junge Erbe Harry Gordon hat bereits ein Auge auf sie geworfen. Doch Gordon bedeutet gleichzeitig auch Haverford und so stürzt sich Lucy instinktiv auf den deutlich älteren Sänger Sebastian Clement. Doch trifft sie damit die richtige Entscheidung? Und spielt dies überhaupt eine Rolle? Meisterhafte Erzählerin Lucy Gayheart ist als ein Werk konzipiert, dass sich trotz des recht schmalen Umfangs jeglicher Einordnung und Kategorisierung entzieht. Das fängt bereits bei der Erzählperspektive an, die im Laufe des Romans hin und herwechselt und die unterschiedlichen Figuren aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Weiterhin gelingt es der Autorin mit wenigen Worten die Natur Nebraskas bildreich vor unseren Augen entstehen zu lassen. Ihre Motive sind dabei düster und dunkel, nicht ohne Grund spielt der größte Teil der Handlung während dunklerer Jahreszeiten. Dass gleichzeitig in jedem Bild ein Hinweis auf den weiteren Verlauf der Handlung versteckt ist, ist ein weiteres Zeichen wahrer erzählerischer Meisterschaft. Umso stärker wirkt der Kontrast zum lebendigen und leuchtenden Chicago. Einer Stadt, in der das Leben genauso fließend verläuft wie die alles beherrschende Musik. Die Abschnitte dort wirken erzählerisch wie ein wilder Ritt, kaum ein Augenblick, an dem sich unsere Protagonisten ausruhen können, immerzu geht es weiter, von der Probe zum Auftritt zum Restaurant und so fort, ohne dass auch nur Zeit zum Durchatmen verbleibt. Musik als Bestandteil der Handlung Gerade die Abschnitte in Chicago sind mit zahlreichen musikalischen Anspielungen gespickt. Auch wenn die Anmerkungen diesbezüglich für Aufklärung sorgen, bin ich in Sachen Musik einfach nicht bewandert genug, um jedes Detail zu verstehen. Scheinbar scheint sich Cathers Musik-Auswahl jedoch hervorragend in das Gesamtkonstrukt einzugliedern. Der Roman lässt sich allerdings auch ohne diese Kenntnisse hinreichend verstehen und genießen – dazu reicht bereits der abgedruckte Text. Überraschende Wendungen Die Handlung selbst weist bereits von Anfang an so viele Überraschungen auf, dass ich eigentlich nicht viele Worte dazu verlieren möchte. Nur so viel: Mag die Inhaltsbeschreibung anfangs noch auf eine gewöhnliche Liebesgeschichte hindeuten und mögen wir im zweiten Schritt eine Emanzipationsgeschichte erwarten, so dreht sich die Handlung gleich mehrfach in verschiedene Richtungen und lässt uns am Ende fassungslos zurück. Cather behandelt dabei Themen wie den gesellschaftlichen Aufstieg, streift Migrationsaspekte, die Emanzipation der Frau und den Unterschied von Stadt und Land. Rasch wendet sich jedoch das Blatt und wir stellen uns in einem melancholisch düsteren Tonfall die Frage, wie und ob wir mit Rückschlägen umgehen können, ob man Sicherheit oder die große Freiheit wählen sollte und ob wir überhaupt Kontrolle über unser Leben erlangen können Realistische Charaktere Das Herzstück des Romans bilden die zahlreichen Charaktere, die man am ehesten noch als realistisch gezeichnet bezeichnen kann. Wirkliche Sympathieträger oder Hassfiguren finden wir hier nicht. So haben wir es weder mit künstlich überhöhten noch mit übertriebenen Menschen zu tun. Niemand wird durch irgendein Ereignis plötzlich Gut oder Böse, diese Eigenschaften gelten sowieso nicht. Vielmehr sind alle Figuren dem wirklichen Leben nachempfunden und könnten bis hin zur kleinsten Nebenfigur genauso auch im wirklichen Leben auftauchen. Fazit: Lucy Gayheart von Willa Cather ist ein herausragendes Stück Literatur, dass trotz seiner Kürze in beinahe allen Aspekten überzeugen kann. Der Stil zeugt von wahrer Meisterschaft. Spielerisch geht Cather mit verschiedenen Erzählperspektiven um, erhöht das Tempo in der lebendigen Großstadt Chicago und verliert sich in malerischen Landschaftsbeschreibungen im ländlichen Nebraska. Die Handlung ist in mehrfacher Hinsicht überraschend und die behandelten Motive sind trotz der sie durchziehenden Melancholie zeitlos. Nicht zuletzt findet man eine so realistische Figurenzeichnung nur äußerst selten. Insgesamt handelt es sich um ein wahres Meisterwerk, das völlig zurecht neu aufgelegt wurde. Ein idealer Einstieg in das Werk der Autorin!

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