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Rezension zu
Lucy Gayheart

Wiederzuentdeckender Klassiker

Von: LiteraturReich
28.03.2024

2024 ist ein Jahr der großen Jubiläen in der Literaturgeschichte. Franz Kafkas Todestag jährt sich zum 100. Mal, Vladimir Nabokov wäre im März 125, James Baldwin im August 100 Jahre alt geworden. Unlängst konnte man den 125. Geburtstag von Erich Kästner feiern, der genauso wie Immanuel Kant in diesem Jahr auch einen runden Todestag, den 50. hat (bei Kant handelt es sich um den 300. Geburts- und 220. Todestag). Dazu kommen noch große Jubiläen von Caspar David Friedrich (250. Geburtstag), Marco Polo (700. Todestag) und Anton Bruckner (200. Geburtstag). Bei so einer gesammelten Flut an anstehenden Feierlichkeiten ist im Dezember 2023 ein 150. Geburtstag mehr oder weniger untergegangen. Mit einer Neuausgabe des Spätwerks Lucy Gayheart hat der Manesse Verlag in seiner schönen, kleinformatigen Klassikerbibliothek der amerikanischen Schriftstellerin Willa Cather gedacht. Ich muss zugeben, dass ich bisher keine der zahlreichen Übersetzungen der 1947 verstorbenen Autorin, die als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Amerikas gilt, gelesen hatte. 1922 erhielt sie den Pulitzerpreis für „One of ours“ und obwohl viele ihrer Romane im ländlichen Amerika verortet sind, war Willa Cather eine sehr moderne, unabhängige, in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebende Frau. Von ihrer (leider bei uns auch viel zu unbekannten) Mentorin Sarah Orne Jewett erschien 2022 im Mareverlag der schöne Roman „Deephaven“. Eine lebenshungrige junge Frau Auch die Protagonistin im 1935, fast 40 Jahre nach Beginn ihrer Schriftstellerkarriere entstandenen und um die vorletzte Jahrhundertwende spielenden Roman Lucy Gayheart ist wie ihre Autorin Willa Cather eine unabhängige, lebenshungrige junge Frau. Wie diese wächst Lucy in einer kleinen Präriestadt in Nebraska auf. Ihr Vater ist Uhrmacher, außerdem aber auch ein großer Musikfreund und Kapellmeister des Ortes. Von ihm erfährt die junge Frau stets Unterstützung und Förderung, auch ihres großen Talents am Piano. Anders als ihre ältere Schwester zieht es die hübsche, charmante und umschwärmte Lucy fort vom provinziellen Haverford, hinaus in die Welt. Auch wenn die Familie eher wenig begütert ist, darf sie in Chicago bei einem Professor Auerbach Studien am Klavier aufnehmen. Sie lebt dort, sehr untypisch für junge Frauen vom Land, sehr unabhängig in einer Pension und verdient sich Geld mit Klavierunterricht. Zuhause, wohin Lucy in den Ferien zurückreist, entdeckt ihr alter Schulfreund, der vermögende Harry Gordon, dass er mehr als nur Freundschaft für sie empfindet und macht ihr einen Antrag. Lucy, die mitten im Aufbruch ist, das Leben in der Stadt genießt und Gefühle für einen fast doppelt so alten, zudem verheirateten und sehr bekannten Bariton, den sie bei Proben auf dem Piano begleitet, entwickelt hat, lehnt schroff ab. Dieser Sänger, Clement Sebastian, steckt selbst ein wenig in einer Lebenskrise. Dass er die melancholischen Schubertlieder der Winterreise einübt, ist für die Stimmung des Romans bezeichnend. Lucy aber schwebt im siebenten Himmel. Großartige Wiederentdeckung Der Plot von Lucy Gayheart ist nicht wirklich ungewöhnlich, in der feinen psychologischen Entwicklung ihrer Figuren erinnert Willa Cather sehr wohltuend an ihren Kollegen Henry James. Insgesamt ist das einfühlsame Werk aber eher zurückhaltend, bodenständig, schnörkellos. Konventionell in der Erzählweise, großartig in der Sprache erschafft sie sehr lebendige Protagonisten, poetische Landschaftsbeschreibungen und viel von der gesellschaftlichen Atmosphäre der Zeit. Für mich ist Willa Cather eine große Entdeckung und ich hoffe, die Neuauflage von Lucy Gayheart war nicht nur ein Geschenk zum 150. Geburtstag. Wie sehr Autorinnen, die lange Zeit als „Frauenliteratur“ gerade auch in der Übersetzung abgetan wurden, der (Neu)Entdeckung harren, ist zum Glück mittlerweile ein vielbeachtetes Thema. Vielen tollen Schriftstellerinnen ist in den letzten Jahren so wieder zu Aufmerksamkeit verholfen worden. Hoffentlich gehört auch Willa Cather dazu.

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