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Rezension zu
I Saw a Man

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Schuld und Narrativ

Von: WolfgangB
31.03.2016

Ein Mann durchstreift auf der Suche nach einem Schraubenzieher das verlassene Haus seiner Nachbarn und erschreckt dabei die wider Erwarten anwesende Tocher dermaßen, daß diese mit letaler Folge die Stufen hinunterstürzt, und hinterher zermartern sich alle das Gewissen an der Schuldfrage Und hier könnte diese Rezension auch schon wieder zu Ende sein, viel mehr an Handlung hat "I Saw A Man" nicht zu bieten. Wer also Wert auf raffinierte Wendungen legt, sollte besser einem anderen Titel den Vorzug geben. Und doch erzählt der Roman leise, behutsam seine Geschichte ... oder besser, eine Vielzahl von Geschichten. Michel Turner sucht vordergründig ein verliehenes Werkzeug, tatsächlich ist er jedoch auf der Suche nach weitaus mehr, nach seinem Leben. Jeden Gegenstand, der ihm ins Auge fällt, verbindet er mit einem Erlebnis, jeder Schritt auf dem knarrenden Boden führt ihn zugleich durch ein "Mienenfeld der Erinnerung". Der Leser erfährt von seiner Frau Caroline, ihrem idyllischen Zusammenleben in einem britischen Landhaus, ihrem Auftrag, für eine Reportage in ein Kriegsgebiet zu reisen, von der amerikanischen Drohne, die Tod und Zerstörung bringt. "Nach Todesfällen ändern Männer ihren Wohnort, Frauen ihr Äußeres", so heißt es später. Michael zieht nach London, freundet sich mit seinen neuen Nachbarn, den Nelsons an. Während sie in ihm den Hausfreund sehen, den Fremden, den man doch schon so lange zu kennen glaubt, daß man sich ihm anvertrauen kann, sucht er in ihrer Gesellschaft nach seiner verlorenen Geborgenheit. Doch letztendlich ist die Ehe für ihn "eine endliche Ressource, ein seltenes Erz, dessen Vorräte mit Carolines Tod versiegt waren." Michael erinnert sich an die obligaten britischen Teegesellschaften, in denen letztlich nur Selbstverliebtheit zelebriert wird. Seine Gedanken tragen ihn zu den Fechtstunden, die er nach seinem Verlust absolviert hat, "... als könne man Trauer ausschwitzen...". Und je weiter er in das Haus eindringt, desto klarer wird die Antwort auf die implizite Frage, mit welchem Selbstverständnis er sich in fremdem Eigentum bewegt: Weil es letztendlich die Symbolik ist, die zählt. Schließlich findet der Roman seine Zäsur, der Rahmen von Michaels Selbstsuche wird mit dem tödlichen Treppensturz gesprengt. Ab diesem Punkt wendet sich der Roman hin zu einer Geschichte dreier Männer, die durch den Tod eines Menschen Schuld auf sich geladen haben und auf unterschiedliche Weise damit umgehen. Michael Turner, die zentrale Figur, erschreckt durch seine (eigentlich unbefugte) Anwesenheit im Haus seiner Nachbarn deren Tochter, sodaß sie auf fatale Weise die Treppe hinunterstürzt. In seinem Bemühen, in seiner Rolle an diesem Unfall vor sich selbst zu bestehen, handelt er nach seinen beruflichen Fähigkeiten als Autor: Er schreibt die Geschichte des Hergangs neu, schreibt sich selbst aus der Geshichte heraus, erzählt sie so oft, bis sie zur Wahrheit wird. Diese seine verbale Macht wird im Zuge seiner Einvernahme als möglicher Zeuge bewußt. Die Wahrheit wird in dem Moment unumstößlich, in dem sie ausgesprochen, niedergeschrieben ist." Josh Nelson fühlt sich seinerseits am Unfall seiner Tochter mitverantwortlich, weil er seine Aufsichtspflicht zugunsten einer Liebschaft vernachlässigt hat. Nachdem er durch die Finanzkrise auch seinen Job bei Lehman Brothers verloren hat, geht seine Ehe in der Brüche, er entfremdet sich von seiner Familie und ertränkt seine Verbitterung in Alkohol. Schließlich verfolgt er besessen eine Spur und entdeckt als einziger Michaels wahre Geschichte. Major Daniel McCullen schließlich ist jener Drohnenpilot, der Caroline, Michels Frau getötet hat, die als Journalistin in einem Kriegsgebiet im Einsatz war. Daniel ist, von Las Vegas aus operierend, einer jener Soldaten, die nie einen Fuß auf ein Schlachtfeld setzen. Der Krieg ist für ihn ein Nine-to-Five-Job, die Kampfhandlungen zum Videospiel abstrahiert. Das Töten erfolgt per Knopfdruck, die Verantwortung wird an andere Stellen delegiert. Und doch empfindet Daniel das Bedürfnis, für seine Tat einzustehen. Er macht Michael ausfindig, sucht mit einem Brief nach der erlösenden Absolution. In der Hörbuchfassung führt der Schauspieler Dewid Striesow Striesow den Hörer wie einen guten Bekannten, dem er beiläufig kausalen Tratsch erzählt, durch die Geschichte. Durch geschickte Tempovariationen setzt er jedoch Akzente, indem er einzelne Bildfolgen in Zeitlupe ablaufen läßt. In quälender Langsamkeit muß etwa der Leser hilflos mit Michael zusehen, wie das Mädchen das Gleichgewicht verliert und in die Tiefe fällt. Persönliches Fazit Ein Roman, der wie ein sorgfältig entworfenes Gemälde wenig Dynamik und viel zu entdecken bietet.

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