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Rezension zu
Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen

Unendliche Tiefen

Von: ralfreitze
02.12.2016

Als ich den Titel las, dachte ich, noch so ein „Hundertjähriger-der-aus-dem-Fenster-stieg“ Ableger? Och nö! Wieder so eine quasi-lustige Kopie des Bestsellers, als würde die Kreativität der Verlage darnieder liegen. Aber nun, warum nicht das verkaufen, was gut läuft. Doch als ich das Buch in einem Buchladen in der Hand hielt, waren alle Bedenken dahin. Schon optisch und haptisch ist das Buch ein Genuss. Der stilisierte Hai ist wie in einem Relief in den Buchdeckel geprägt. Das Buch hat ein ungewöhnliches aber nicht unangenehmes Format. Bei dem erzählenden Teil dieses überraschenden Buches, schreibt der Autor über zwei Freunde die einen Eishai fangen wollen, vor den Lofoten, einer Inselgruppe im Norden von Norwegen. Überraschend ist dieses Buch insofern, da die Geschichte dem Autor dazu dient, Unmengen an Fakten dem Leser zu vermitteln, Fakten über das Meer. Wissen das ich vorher so noch nicht gelesen habe. Dabei werden diese Fakten in die erzählte Geschichte mit einbezogen und der Autor Stroksnes holt dabei weit aus; über die Geschichte, in der Mystik, über die Biologie aber auch mal über die Krimi Serie Derrick (!), wird sinniert. Schon das Umfeld in dem die beiden Männer angeln, auf einem kleinen Boot inmitten der Größe der Natur, ist für den Autor berauschend und inspirirend: „Der Anblick der berühmten Lofotenwand hat bereits auf viele Menschen Wirkung gehabt. Als der Maler Christian Krohg an einem Wintertag 1895 über den Vestfjord kam, schrieb er: ‚Ja, es ist nicht zu leugnen – ein imposanter Anblick: Das Reinste vom Reinsten, das Kälteste vom Kältesten, das Jungfräulichste vom Jungfräulichsten, das Vornehmste was man sich denken kann. Altäre für den Gott der Einsamkeit und die Unberührtheit göttlicher Keuschheit. Schwierig – schwierig, dies zu malen! Die Erhabenheit und Größe wiederzugeben ebenso wie die unerbittliche, unbarmherzige Ruhe und Gleichgültigkeit der Natur.“ Das Meer ist ein faszinierendes, weitgehend unentdecktes Feld. Ab einer gewissen Tiefe ist das Meer tödlich für den Menschen und so hat er sich dessen Erforschung nicht näher zugewandt, obwohl dessen Tiefe und Flächenausdehnung die gesamte Landmasse der Erde bei weitem übersteigt. Selbst der Himalaja würde an der tiefsten Stelle des Meeres spurlos verschwinden. Auch die Artenvielfalt ist ein vielfaches von dem was auf dem Land kreucht und fleucht. Jede Woche werden neue Arten oder Rassen entdeckt, ein Ende ist nicht abzusehen. Der Mensch ist dieser Hölle, dieser Finsternis entkommen die im Meer herrscht, doch sollte er sich darauf besinnen, dass er doch nur ein umgebauter Fisch ist, dass im Meer seine Wurzeln liegen. Die Angel-Treffen der Freunde auf den Lofoten, die sich mit Unterbrechungen über ein Jahr hinziehen, sind für den Autor, der in einer Art Autobiografie über diese Zeit schreibt, auch ein Quell der Ruhe und Besinnlichkeit. In dieser Gegend, die unberührt von unserer modernen Zivilisation ist, spürt er die Magie der Worte, er spürt, was es heißt am Meer zu leben. „Nachts schlafe ich bei offenem Fenster. Es geht nur eine leichte Brise, und das sanfte Plätschern von Wasser gegen Stein findet seinen Weg durch die dünne Membran des Schlafes. Auf der Westseite der Vesteralen gibt es ein eigenes Wort für dieses Geräusch, das in einer milden Sommernacht durchs offene Schlafzimmerfenster dringt und vom Meer erzeugt wird, das auf weichen Sandstrand trifft: ’sjybarturn‘.“ Die Menschen, die dort in Fischerdörfern leben, haben sicherlich ein direkteres Verhältnis zur Jagd nach Fischen als andere, es ist in der Tat ihre einzige Möglichkeit zu Überleben. Sie wissen um das Zusammenspiel von Walen, Haien, Korallen, Fischen und welches Wetter welche Möglichkeit bietet, erfolgreich die See zu befischen. Leider haben moderne Fischfangmethoden und die Gier nach maximalem Profit, viele Arten ausgerottet und damit auch das komplexe ökologische Zusammenspiel der Flora und Fauna verändert, wenn nicht sogar zerstört. Damit verschwindet leider auch das Wissen über diese Zusammenhänge und das dazugehörige Vokabular. Kritisch setzt sich der Autor mit dieser ökologischen Katastrophe auseinander, wenn auch das Hauptaugenmerk nicht ganz darauf liegt. Wenn er davon spricht dass durch Schleppnetze Korallen zerstört werden, ist das natürlich eine verwerfliche Art der Fischerei, und man nimmt es ihm durchaus ab. Aber dann sich selbst in ein Boot zu setzen und ein vom Aussterben bedrohtes Tier zu fangen karikiert seine Aussage. So wie der Umweltaktivist, der zu Hause den Müll nicht trennt. Der Eishai greift Menschen nicht aktiv an, ist erst nach 150 Jahren geschlechtsreif, lebt so lange wie kein anderes Wirbeltier (400 Jahre) und sein Fleisch ist für den Menschen nicht zum Verzehr geeignet. Warum ihn dann jagen? Hier bekam ich dann doch meine berechtigten Zweifel am Tun des Autors. Morten A. Stroksens ist ein starkes Buch gelungen, ein Buch das den Leser gerade in seinen Sachbuch Passagen fordert. Geschickt, manchmal etwas langatmig, aber nie langweilig, vermischt er diese Fakten mit den lyrioschen Beschreibungen der Ausflüge der beiden Freunde auf das Meer. Nicht ganz überzeugt war ich von seiner, mir zu dezenten und nicht ganz authentischen Kritik, an der Umweltzerstörung. Dennoch hat er dies literarisch in einem Absatz wunderschön subtil ausgedrückt: „Massenaussterben sind uns durchaus bekannt. Wir sind erst seit wenigen Jahrtausenden hier, aber wir haben uns bis in die letzten Winkel der Erde ausgebreitet. Wir waren fruchtbar und haben uns vermehrt. Wir haben die Erde bevölkert und sie uns untertan gemacht. Wir herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Amen!

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