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Rezensionen zu
Herbst

Ali Smith

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Wer hier ab und zu mitliest, der weiß vielleicht, dass ich die Britin Ali Smith für eine der besten und originellsten Autorinnen der Gegenwart halte, der ich unbedingt mehr Leser wünsche. Mit diesem Roman, dem ersten Band aus ihrem „Jahreszeitenquartett“, schaffte sie es zum viertel Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize, ist hierzulande aber meiner Wahrnehmung nach immer noch eher ein Geheimtipp, wobei sie in Großbritannien und den USA offenbar deutlich mehr gelesen wird. Das mag an der Sprache liegen, die bei Smith so wichtig ist und die wohl in all ihren Spielereien und Feinheiten nicht einfach ins Deutsche zu übertragen ist, dennoch sind auch deutschen Übersetzungen ihrer Romane sehr lesenswert. „Herbst“ begann Smith 2016 zu schreiben, gleich nachdem die Briten für den Brexit stimmten. Vier Bücher in vier Jahren, eines pro Jahreszeit, so der Plan. In Großbritannien sind auch schon „Winter“ und „Spring“ erschienen. Nächstes Jahr soll dann der abschließende Band „Summer“ erscheinen. In „Herbst“ begegnen wir Elisabeth und Daniel, und das vornehmlich auf zwei Zeitebenen. Als Elisabeth ungefähr 10 ist, lernt sie Daniel kennen, er ist Rentner und Nachbar von Elisabeth und ihrer alleinerziehenden Mutter. Eine Mutter, die nicht immer Zeit für ihre Tochter hat, und die diese später als undankbar beschreiben wird, eine Einschätzung, die weder Elisabeth noch der Leser so teilen wird. Daniel nimmt sich dem aufgeweckten und klugen Mädchen an und fragt sie immer als erstes, was sie gerade liest. So kommen die beiden ins Gespräch, so erfährt Daniel, was Elisabeth umtreibt. Daniel nimmt sie immer ernst, behandelt sie nie wie ein Kind, was Elisabeth spürt und wofür sie dankbar ist. Auf der zweiten Zeitebene dann ist Elisabeth ungefähr 30, sie arbeitet an der Uni, hat ein nicht immer ganz einfaches Verhältnis zu ihrer Mutter, die sich nach wie vor auf ihre eigene Weise selbst verwirklichen will, und sie besucht Daniel im Krankenhaus. Der ist inzwischen 101 Jahre alt und liegt im Sterben. Die Krankenschwestern halten Elisabeth für seine Enkelin, sie lässt sie in dem Glauben. Und sitzt an seinem Bett, in dem er die meiste Zeit schläft, während sie liest – was sollte sie auch sonst tun? „Herbst“ ist auf den ersten Blick leichter lesbar als einige der früheren Romane Smiths, in denen nicht immer die Zusammenhänge gleich deutlich wurden, in denen die Autorin deutlich experimentierfreudiger war. Der Roman lässt sich denn auch zunächst einmal klar lesen als Geschichte der Beziehung zwischen der nun jungen Frau und dem im Sterben liegenden Mann. Doch der Brexit ist allgegenwärtig. Smith erweckt eine Stimmung im Land zum Leben, eine Unsicherheit bei seinen Bewohnern, die sich – natürlich – durch das Referendum nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren gewandelt hat. Sie erzählt das meist nebenbei, stellt die politische Situation nur selten in den Mittelpunkt, zeigt aber auf, was sie für die Menschen bedeutet: Für Elisabeth und ihre momentane, auch berufliche Situation, für Daniel, der die langfristigen Auswirkungen nicht mehr miterleben wird, der aus einer anderen Zeit stammt, für Elisabeths Mutter und ihre Versuche, ihrem Leben im mittleren Alter einen neuen Sinn zu geben. Sprachlich ist das wie immer auf den Punkt, und erneut denke ich, ich sollte Smiths Romane eigentlich im Original lesen, wobei auch die Übersetzung von Silvia Morawetz gelungen ist. Manches deutet Smith nur an, schreibt eher assoziativ, dann wieder präzise. Chronologie darf man bei ihr nicht erwarten, sie lässt ihre Leser mitarbeiten. Komische Szenen gibt es, wenn sie beschreibt, wie Elisabeth versucht, einen neuen Reisepass zu beantragen und dabei auf unerwartete bürokratische Hürden stößt. Vor allem aber habe ich „Herbst“ als die Geschichte einer Freundschaft gelesen, einer Freundschaft, für die Elisabeth nach Jahren der Funkstille so dankbar ist, dass sie Daniel auf seinen letzten Schritten begleitet und ihr Leben hinten anstellt. „Herbst“ ist außerdem eine Liebeserklärung an Bücher und an das Lesen und damit auch eine Aufforderung, stets kritisch zu denken.

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Ein Quartett der Jahreszeiten soll es werden. Und mit „Herbst“ macht Ali Smith den Anfang („Winter“ und „Spring“ liegen bereits im Original vor). Der Roman ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung nach dem Brexit-Votum. Aber nicht nur. Es ist auch eine Geschichte über die Vergänglichkeit. Im Pflegeheim begleitet Elisabeth ihren ehemaligen Nachbarn Daniel, mittlerweile 101 Jahre alt, in seinen letzten Tagen. Vertrauter, Vaterersatz und Mentor, ein wichtiger Mensch für die junge Aushilfsdozentin, der ihr die Magie der Bücher offenbarte und sie zu eigenständigem Denken anleitete. Doch nun ist seine Lebenszeit abgelaufen, er liegt im Sterben. Die Sonne schickt ihre letzten Strahlen, Vergangenes mäandert durch seine Gedanken. Rückblenden in die Kriegszeit (Daniel ist Jude), aber auch die Faszination Elisabeths für die feministischen Pop-Art Künstlerin Pauline Boty (und ihren Bezug zu Christine Keeler) schaffen eine Einheit, verbinden Daniels und Elisabeths driftende Gedanken. Elisabeths Erinnerungen an ihre Kindheit werden unterbrochen von Reflexionen über die Veränderungen in ihrem Heimatland nach dem Referendum. Die Spaltung der Gesellschaft, das Oben und Unten, Arm und Reich, der Hass, der offen zur Schau gestellte Rassismus. Und das ist es auch, was uns Ali Smith zu sagen hat, hier liegt ihr Schwerpunkt. Sie schreibt direkt, aber auch anrührend und poetisch, spielt mit Worten, schildert aber auch Situationen wie z.B. die Pass-Beantragung im Postamt mittels Check & Send, die in ihrer Absurdität an einen Sketch von Monty Python erinnern. Ali Smith ist eine der großen britischen Gegenwartsautorinnen und schafft es in „Herbst“ auf brillante Weise, die gesellschaftspolitischen Veränderungen nach dem Referendum literarisch zu verarbeiten. Und wenn Sie bei der Fülle von Neuerscheinungen, die Großbritannien nach den Post Brexit beschreiben, nur einen Roman zu diesem Thema lesen wollen, greifen Sie zu „Herbst“. Besser geht es nicht!

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