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Rezensionen zu
Das verlorene Paradies

Abdulrazak Gurnah

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Im Oktober des vergangen Jahres ließ sich eine bemerkenswerte Beobachtung machen. Kollektives Schweigen und Kopfschütteln, das bis hin zu völliger Ignoranz reichte, nachdem aus Stockholm die Kunde des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers in unsere Gefilde vordrang. Abdulrazak wer? Kein Buch lieferbar, kein bekannter Titel, der im Feuilleton groß besprochen wurde – es konnte sich also nur um einen Fehler des Komitees handeln. Schnell war eine Erklärung bei der Hand – hier habe sich die Jury wohl nur für Zeitgeistiges und Politisch Korrektes entschieden, eher eine politische denn literarische Wahl, die man getrost ignorieren könne. So die selbstsicheren Kommentare, die aus dem Feuilleton zu vernehmen waren. Katharina Herrmann hat das Ganze in ihrem Artikel Die Borniertheit der Bauchnabelfluse sehr eindrücklich herausgearbeitet. Ich hingegen war ganz gespannt ob dieser Verkündung. Ein mir völlig unbekannter Autor mit dem Schwerpunkt auf afrikanischer Geschichte? Welch schöne Abwechslung zu meinem so westlich geprägten Leseverhalten, bei dem mir Titel vom afrikanischen Kontinent eher selten unterkommen. Und nachdem dann im Dezember der erste Titel von Abdulrazak Gurnah in deutscher Übersetzung wieder zugänglich war, machte ich mich an die Lektüre. Eine überkommene Übersetzung Das verlorene Paradies, im englischen Original mit Paradise etwas bündiger gehalten, ist ein Roman von Gurnah aus dem Jahr 1994. Die deutsche Übersetzung von Inge Leipold stammt aus dem Jahr 1996 und wurde für die Neuauflage sorgsam durchgesehen, wie es in der Editorischen Notiz am Ende des Buchs heißt. Auch erklärt der deutsche Verlag hier die bisweilen rassistischen und herabwürdigenden Begriffe noch einmal als Figurenrede. Eine Erklärung, die man vor 26 Jahren noch vergeblich in dem Buch gesucht hätte. Hier lässt sich deutlich eine Entwicklung in Sachen Sensibilisierung ablesen – leider vermisst man diese Entwicklung in der Übersetzung, die sich für mich oftmals schwerfällig und besonders im Streben nach gehobener Ausdrucksweise im Mündlichen unfreiwillig komisch und antiquiert las. So unterhalten sich hier gerne einmal zwei junge Männer, eher Teenager, die Sätze mit „Gleichwohl“ einleiten. Dinge tun hier not oder man scheltet sich. Auch völlig überkommene Begriffe wie etwa der Terminus „Unflat“ anstelle von Schmutz oder Unreinheit ließen mich stutzen. Ohne das englische Original zu kennen, beschlich mich während der Lektüre der Eindruck, dass es hier wohl eine Neuübersetzung mit einem in der afrikanischen und deutschen Begriffswelt firmen Übersetzer oder Übersetzerin gewesen wäre, die not getan hätte, um einen optimalen Zugriff auf den Text zu schaffen. Und auch wenn es dann ein paar Monate mehr gedauert hätte, um eine sorgfältige und auf der Höhe der Zeit stehende Übersetzung in Händen zu halten – ich hätte sie mir gewünscht. Aber ökonomische Überlegungen. öffentliches Interesse und die Rechtesituation dürften ihr Übriges dazu getan haben, dass wir nun eben Leipolds Übersetzung aus dem Jahr 1996 zu lesen bekommen. Aber sei’s drum. Der afrikanische Blick auf unsere koloniale Vergangenheit Es ist ja neben der Form auch der Inhalt, der zählt. Und hier erweist sich Abdulrazak Gurnahs Werk als spannendes Antidot zu unserem historisch-kolonialistischen Blick auf Afrika. Denn Das verlorene Paradies bekommen wir aus der Sicht von Yusuf geschildert, einem jungen Afrikaner muslimischen Glaubens, der in Ostafrika aufwächst. Wir schreiben das Ende des 19. Jahrhunderts und alles geht seinen gemächlichen Gang. Doch als sich Yusufs Vater verschuldet, gibt er seinen Sohn als Pfand in die Hände von Onkel Aziz, einem umtriebigen Händler. Dieser parkt Yusuf im Laden von Khalil, den er bei seiner Arbeit unterstützen soll. Doch schon bald wird Yusuf abermals aus dem neuen Umfeld gerissen, da er zusammen mit Aziz und dessen Kolonne auf eine Handelsreise gehen soll. Der Junge sieht neue Städte, Menschen und Lebensweisen, die ihm seine eigenen engen Grenzen deutlich vor Augen führen. Eine dieser Expeditionen wird dann zum großen Desaster, das Yusuf dann aber auch zum ersten Mal eine Vorahnung auf die große Liebe gibt. Und über allem schwebt die Herrschaft der Europäer, die sich in Yusufs Umgebung immer deutlicher abzeichnet. Die Europäer setzen ihren Machtanspruch blutig durch, bevormunden die lokale Bevölkerung und zeigen Härte. So ist es etwa dem Mechaniker Kalasinga widerfahren, der für einen Europäer einen Generator reparieren sollte und dessen Expertise nicht wirklich zählte, wie er in einem abendlichen Gespräch preisgibt. Stattdessen wurde er vom Hof gejagt und Hunde auf ihn gehetzt. Ein Motiv, das sich im Buch noch öfter wiederholen soll und das vor allem in der Schlusspointe eindrücklich wirkt. Fazit Das verlorene Paradies zeigt dem Feuilleton und uns Leser*innen, dass hier eben kein Autor ausgezeichnet wurde, der biedere und brave politisch korrekte Literatur fabriziert, wie des Öfteren insinuiert. Hier schreibt ein Autor mit eigener Stimme, der uns Afrika aus den Augen seiner eigentlichen Bewohner zeigt, der den Schmelztiegel von Ethnien vielstimmig inszeniert und der eine Welthaltigkeit in die hiesige Literaturszene bringt, die uns allen nur guttun kann. Dieser Abdulrazak Gurnah hat etwas zu sagen – mit diesem Buch vor allem uns Deutschen, deren koloniale Vergangenheit hier immer wieder durchscheint. Und wenn dessen Botschaften in den kommenden Veröffentlichungen noch eine zeitgemäße Sprache in Form von guter Übersetzungsarbeit zupass kommt, dann habe auch ich gar nichts mehr zu mäkeln (oder zu schelten, um in der Begrifflichkeit dieses Buchs zu bleiben).

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Als im vergangene Jahr 2021 der Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah verkündet wurde, war hierzulande erst einmal keine große Resonanz, da ja, oh Schreck!, der Roman „out of print“ war. Es gab zwar 1998 eine deutsche Übersetzung von Inge Leipold, aber das Buch war vergriffen und keine neue Auflage in Planung, obwohl der Roman auch schon mal auf der Shortlist des Booker Preises (90er Jahre) stand. Zum Glück gibt es nun eine neu gesichtete Version des Romans um ein sehr hilfreiches Glossar am Ende erweitert. ‚Das verlorene Paradies‘ spielt zum Ende des 19. Jahrhunderts auf Sansibar und zieht sich im Laufe der Geschichte bis hinunter nach Mosambik. Hier auf Sansibar, wo auch der Autor 1948 geboren wurde, beginnt die Geschichte. Dem Paradies? Im Mittelpunkt steht der Junge Yusuf, der aus der Armut heraus von seinem Vater an den fliegenden Händler Aziz verkauft wird. Die Familie, die ein 4-Bett Hotel betreibt kann seine Schulden nicht mehr begleichen und gibt den Jungen fort. Dem 12jährigen wird das erst nach geraumer Zeit deutlich. Er wird zum Diener, zur Aushilfe und befreundet sich mit Kalil, einem anderen Junge. Der Roman strotz nur so von rassistischer Übergriffigkeit, ist allseits überzeichnet und deckt auf, dass es egal ist wer, wenn nieder macht, es ist immer ein Angriff. Hier im Roman wird das anhand der historischen Situation schön demonstriert durch die Gemengelage an kolonialen Eroberern (vor allem im Roman die Deutschen), sowie indische Händler und die arabischen Sultane aus dem Oman, die zuvor die Vorherrschaft innen hatten. Der Roman lebt von dieser multikulturellen, multiperspektivischen Verschachtelung. Gelungen ist aus meiner Sicht, dass hier zwar eine Geschichte erzählt wird, aber zugleich auch ein historischer Blick auf die Gemengelage an Kindersklaverei, an Kolonialismus, an Rassismus. Sehr gelungen und das noch mit Figuren, die trotz der ständigen Ausbeutung und Unterdrückung den Lebensmut und den humorvollen Sarkasmus nicht verlieren. Die Deutung über den Roman und die Parallelen zur Bibel hätte ich ohne einen Hinweis nicht erkannt. Hier wird wohl die Geschichte Genesis parallel stark erzählt, obwohl der Roman durch die arabische Vorherrschaft Suren des Korans vorherrschen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf liest es sich noch einmal etwas anders und der Titel rückt stärker in den Fokus: Paradies! Fazit: Egalitäre Sehnsüchte und Wünsche, darin sind wir Erdenbürger uns zu jeder Zeit gleich – eine zeitlose Feststellung.

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„Das verlorene Paradies“ ist die Neuauflage, die bereits 1994 erschienen ist und 2021 mit Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ende des19-Jahrhundert Ostafrika/Tansania. Sansibar ist einer der wichtigsten Handelspunkten vom indischem Ozean. Yusuf wächst als Einzelkind in sehr einfachen Verhältnissen in einem kleinen Dorf auf, wo auch sein Vater ebenfalls ein kleines Hotel betreibt. Doch das Hotel läuft nicht gut, sodass Yusuf Tag zu Tag hungrig ins Bett geht. Nur ein mal im Jahr, wenn Onkel Aziz zu Besuch kam, gibt es Festessen und obendrauf 10-Anna von seinem Onkel, worauf Yusuf den ganzen Jahr lang ungeduldig wartet. Doch als er zwölf wurde, ändert sich sein Leben von Heute auf Morgen. Dieses Jahr gibt es stattdessen eine glänzende Münze, leise Gespräche zwischen sein Vater und sein Onkel und innige Umarmungen von seiner Mutter. Denn sein geliebter Onkel ist in Wirklichkeit ein reicher Geschäftsmann, an dem sein Vater Geld verschuldet ist. Als Aziz sein Geld zurück haben wollte, welche die kleine Familie sowieso nicht hat, pfändet Aziz Yusuf, bis seinem Vater das Geld zusammenkratzt, um Yusuf zurückzukaufen. Fortan lebt Yusuf fern entfernt von seinem Eltern, arbeitet mit einem etwas älteren Jungen zusammen, welcher ebenfalls gepfändet wurde, in Aziz's Mischwarenladen und hilft bei der Pflege seines paradiesischen Garten. Als Aziz Yusuf auf die Karawanenreise mitnimmt, lässt das ganze Reisen den Jungen vorzeitig erwachsen werden... Bildgewaltig, detailreich, farbenfroh, doch immer mit der Schatten begleitet erzählt Gurnah das Heranreifen eines Jungen. Die Geschichte fängt sehr berührend an. Wir lernen Yusuf kennen, weinen, hoffen und träumen mit ihm. Doch in der Mitte des Buches verliert, meine Meinung nach, die Handlung seine Intensität. Da Yusuf auf Karawanenreise ist, tauchen viele Männer auf, die rülpsen, pupsen, gegenseitig mit unmöglichen Wörter schimpfen und beleidigen. Es war zwar realitätsnah und authentisch, aber wenn ich ehrlich bin, hat es mich gestört und das Ganze hat Yusufs Geschichte auf Zweitestelle gedrängt, was ich sehr schade fand. Doch das Ende holt Gurnah seine Leser*in wieder ans Bord. Obwohl das Buch recht anspruchsvoll ist, lässt sich es sehr leicht lesen. Auf einem, mir unbekanntem Land, in einem weit zurück liegenden Zeitpunkt reisen, war sehr interessant. Allerdings, wer kein Vorkenntnisse über die deutsche Kolonialzeit in Ostafrika und etwas Wissen über die Islamgeschichte hat, würde sich hier verloren fühlen. Zum Glück war es für mich nicht der Fall, sodass ich das Buch flüssig und ohne Verständnisprobleme sehr gern gelesen hab. „Das verlorene Paradies“ ist einer berührende, teilweise mystische, düstere und eine ganz andere Coming-of-Age-Geschichte, welche ich sehr gern gelesen habe.

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Yusuf ist zwölf Jahre, als er am Bahnhof nicht nur die wenigen Züge bestaunt, sondern selbst einsteigt und zum Meer fährt. Onkel Aziz, ein edler Kaufmann, nimmt ihn mit in seine Stadt am Meer, in sein Haus mit großem Garten, großen, Schatten spendenden Bäumen, Orangen und Granatäpfeln, einem großen Teich mit Springbrunnen und kleinen Kanälen. Yusuf ist zwölf, als er sein Paradies verliert, als sein Vater eine Schuld begleicht bei Onkel Aziz, der nie sein Onkel war, nun aber sein Seyyid wird. Die Jahre vergehen schnell fernab der Familie und Yusuf wächst heran zu einem bildhübschen Mann. Die abergläubischen Bewohner:innen der Gegend sprechen ihm heilige Kräfte zu. Um ihn zu schützen, nimmt der Seyyid Yusuf mit auf seine Karawane ins Landesinnere, lässt ihn Lektionen lernen und später bei einem Handelspartner in den Bergen zurück. Auch dort lernt er viel über das Leben, die Menschen, die Natur, Gott und über sich. Yusuf wird zum Talisman der reisenden Karawane und ein Glücksbringer, der von seinem Glück gar nichts weiß. Wovon er weiß, sind die vielen Fragen und die Worte der Männer, die meinen, die Askaris, die Deutschen kommen und nehmen, ohne zu geben. Auf seiner Reise erlebt der Protagonist das Ende des traditionellen Lebens in Ostafrika, das Bersten tribaler Strukturen und des althergebrachten Handels mit Waren und Sklaven. Die europäischen Mächte kolonialisieren den schwarzen Kontinent und zwingen ihm ihr Leben auf. Abdulrazak Gurnah schreibt auf 321 Seiten zuzüglich Glossar von dieser Zeit geradezu mystisch. Seine literarische Welt aus Glauben und Aberglauben, Gottvertrauen und Lästerung wird schattiert von Afrikas Wildnis, Weite, Brutalität, die zwischen den Menschen, so ungleich sie auch sein mögen, vertraute, manchmal sogar liebevolle Züge annimmt. Gleichwohl sind Armut und Unfreiheit Stützen einer sterbenden Kultur und Säulen des bereits 1994 erschienenen Romans ‚Das verlorene Paradies‘. Mit Gurnahs Durchbruchsroman ist hingegen keine Zeit verloren – ganz im Gegenteil. Gurnah hat ein modernes Märchen aus alten Zeiten zu Papier gebracht, das zwar durch seine Fülle an Namen und arabischen Begriffen den Lesefluss stört, nichtsdestotrotz mitnimmt in die multiethnische Welt Ostafrikas vor 120 Jahren. ‚Das verlorene Paradies‘ ist ein Roman, der nicht schont, der erbarmungslos ist wie die Steppe. Der verzaubert und mitreißt und moralisch wenig kommentiert, was einerseits verstört und andererseits ganz wohltuend ist und für tiefe innere Ruhe spricht. Mein Fazit: Anderthalb Daumen hoch.

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Abdulrazak Gurnah bekam letztes Jahr den Literaturnobelpreis und ganz Feuilleton-Deutschland hatte eine Reaktion: Wer?! Es ist wirklich eine Schande, dass Abdulrazak Gurnah erst jetzt im deutschsprachigen Raum wahrgenommen wird, gab es doch sogar 1996, zwei Jahre nach Erscheinen, eine deutsche Übersetzung seines Werkes "Das verlorene Paradies". Aber wenigstens wird der Roman nun endlich auch hier verstärkt gelesen. Dass dieses Buch vor fast 30 Jahren geschrieben wurde, merkt man, meines Erachtens nach, beim Lesen kaum. Es fühlt sich leider nicht an, als würde Gurnah über Vergangenes schreiben - nein, er schreibt über Kolonialismus, Wirtschaft, Habgier, Menschenhandel in einem zeitlosen Ton, der das unangenehme Gefühl herauskitzelt, dass es immer Menschen gibt, denen es besser als anderen geht und die diesen Vorteil zu ihren Gunsten ausnutzen. Und dass vor allem weiße Menschen sich immer gerne nehmen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf Verluste. "Das verlorene Paradies" handelt von Yusuf, einem Jungen, der seiner Familie entrissen wird, weil sein Vater einem reichen Händler Geld schuldet. Yusuf arbeitet ab diesem Moment für den Händler, reist mit ihm durch das ostafrikanische Land, lernt neue Menschen und Sitten kennen und wird langsam erwachsen. Dabei schnappt er im Laufe der Jahre immer wieder Gespräche auf, die von Europäern handeln, welche das Land versuchen einzunehmen. Vor allem die Deutschen seien sehr gefährlich. Mehr möchte ich nicht von der Story vorwegnehmen - aber ist es nicht ironisch & traurig zugleich, dass dieses Buch in Deutschland bis vor kurzem keine Relevanz hatte? 🤔

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Die reichen, gefühlvollen Details von "Das verlorene Paradies" täuschen über die Brutalität des Söldnerkapitalismus im Afrika des frühen 20. Jahrhunderts hinweg. Während der Roman vordergründig als Coming-of-Age-Geschichte für Yusuf dient - ein 12-Jähriger, der bei seinem Entführer Onkel Aziz lernt - erkundet er auch den Zeitgeist eines Kontinents, der am Rande von Krieg und Kolonialismus steht. Abdularaz Gurnah setzt starke Charaktere ein, um den bevorstehenden Zusammenprall der Kulturen in Szene zu setzen. Der Autor verwendet die Symbolik von Zügen und Karawanen, um die unaufhaltsame Kraft der modernen Technologie und der Kriegsführung zu verdeutlichen, die dem afrikanischen Volk ihren Willen aufzwingt, und verleiht dem Werk einen unbestreitbaren Ton von Melancholie, Wehmut und Unausweichlichkeit. Während Yusufs Schicksal - und das von Khalil, seinem gleichaltrigen Mentor, Amina, seiner verbotenen Liebe, und Aziz - am Ende des Buches unklar ist, scheint er sich damit abgefunden zu haben, dass er keine Wahl hat und nicht in der Lage ist, ein gewisses Maß an Kontrolle über seine Zukunft oder die seines Landes zu erlangen. Hervorragend vorgetragen mit der angenehmen sonoren Stimme von Pierre Sanoussi-Bliss. Klare Hörempfehlung!

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Im letzten Jahr hat der afrikanische Autor Abdulrazak Gurnah, der 1948 auf Sansibar geboren wurde, den Literaturnobelpreis gewonnen. Und ich war sicherlich nicht allein mit der Frage: Was für Bücher hat dieser Autor bisher geschrieben? Prompt hat Random House den vierten Roman von Gurnah von 1994 im Dezember neu aufgelegt: Das verlorene Paradies. Und so hab ich mir dieses Buch gleich einmal vorgenommen, um mehr über diesen neuen Literaturpreisträger zu erfahren. In „Das verlorene Paradies“ nimmt Gurnah uns Leser mit in eine spannende Welt voller Karavanen durch eine Gegend die wir heute Tansania nennen und was früher ein Meltingpot für Händler aus Arabien, Afrika und Indien war. Auch die deutsche Kolonialherrschaft wird bereits angeteasert. Wir erfahren keine Jahreszahl. Aber es schwelen Unruhen im Untergrund der Gesellschaft und es gibt Anzeichen, dass bald ein Krieg heraufzieht. Es wird einen Umbruch geben und die traditionellen Wege stehen kurz vor einem Ende. Reise ins Herz von Afrika Genau in dieser Zeit wächst der junge Yusuf auf. Als Kind lebt er bei seinen Eltern in einfachen Verhältnissen auf dem Land. Doch sein reicher Onkel nimmt ihn als Pfand und Sklave mit in die Großstadt, da sein Vater dem Onkel Geld schuldet. Auf einmal arbeitet Yusuf zunächst als Gärtner und dann in einem kleinen Laden in der fiktiven Hafenstadt Kawa. Er arbeitet sich hoch. Gewinnt das Vertrauen des Onkels, der ihn nicht nur aufgrund seine harten Arbeit, sondern vor allem auch wegen seiner Schönheit anziehend findet. So gelang Yusuf ins Gefolge des Onkels das auf eine Handelsreise geht. Mit Reichtümern, Stoffen und Lebensmitteln bepackt zieht die Karawane aus ins Landesinnere, um dort Waren einzutauschen. Dabei treffen die islamischen Händler auf Ureinwohner Afrikas, mit denen es nicht nur oft sprachliche Probleme gibt. Yusuf ist dabei oft stiller Beobachter. Es passiert oft mehr um ihn herum und „mit“ ihm, als dass er selbst Handlungen auslöst. So trifft er auf die verschiedensten Personen, die ihm von ihrer Lebensgeschichte erzählen, ihre Kultur mit ihm teilen, ihn aber auch beeinflussen, austricksen oder ihm ihre Traditionen aufbürden wollen. Aber diese Reise ins Herz Afrika lässt den Jungen nicht nur langsam erwachsen werden. Vielmehr nimmt er danach sein Schicksal auch selbst in die Hand. Abdulrazak Gurnah erzählt mit „Das verlorene Paradies“ eine wundervolle Geschichte über das frühere Tanganyika (jetzt Tanzania) und von den vielfältigen Einflüssen, unter denen dieses Land sich entwickelt hat. Biblische Einflüsse in der Geschichte von Abdulrazak Gurnah Bereits der Titel deutet ganz offensichtlich auch eine biblische Konnotation an. Und auch Yusufs Name – wie Josef im Koran genannt wird – macht dies noch einmal deutlich. Der Protagonist wandelt sich vom stillen, naiven Jungen zum Erwachsenen, verliert aber auch gleichzeitig seine Heimat, die ein Paradies für ihn war. Wenn man genau hinsieht, kann man auch Parallelen zum biblischen Josef erkennen, der ebenfalls versklavt wurde, mit der Karavane durch die Wüste zieht und als Traumerzähler auftritt (Yusuf redet immer wieder im Schlaf) und den Pharao dadurch bekehrt oder als Gärtner arbeitet. Das Ende dieser Coming-of-Age-Geschichte kommt etwas abrupt (ohne zu viel verraten zu wollen). Aber nachdem Abdulrazak Gurnah so viele Seiten für den Weg des Erwachsenwerdens von seinem Helden verwendet hat, will man natürlich auch wissen, wie es ihm weiter ergeht. Doch hier muss der Leser sich das Ende etwas selbst zusammenreimen. Auf jeden Fall macht dieses Buch Lust auf mehr! Und deshalb wird es hoffentlich nicht die letzte Erzählung von Abdulrazak Gurnah gewesen sein, die nun neu aufgelegt wird. Damit wir in den Genuss weiter spannender Literatur von diesem Nobelpreisträger kommen können.

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Wenig emotional

Von: buchina

06.01.2022

Auf den Autor bin ich erst wegen des Nobelpreises aufmerksam geworden. Da ich sehr gerne Literatur afrikanischer Autor:innen lese, freue ich mich auf das Hörbuch. Die Covergestaltung ist gelungen. Kein kitschiges Afrikabild, sondern abstrakt, wenig aussagekräftig in schönen deckenden Farben. Der Roman spielt Ende des 19. Jh. Hauptsächlich im heutigen Tansania. Eine Zeit in dem die Deutschen die Kolonialmacht in diesem Teil Ostafrikas. Protagonist ist Yusuf, ein Junge, der wegen den Schulden seines Vaters an „Onkel“ Aziz verkauft wird. Aus seinem Dorf herausgerissen, lernt das Leben einer Stadt als Arbeiter eines bekannten Kaufmannes kennen. Nachdem er ist im Geschäft mitgeholfen hat, geht er später mit zu den monatelangen Karawanen ins Landesinnere. Er wird erwachsen, aber während zu Beginn der Kolonialismus weniger direkt zu spüren war, wird dann auch Yusuf mit den Deutschen konfrontiert. Das Paradies ist vorbei, wenn es es jemals gab. Das Buch beginnt sehr langsam. Beschreibungen folgen auf Beschreibungen. Die Spannung blieb bei mir aus und setzte erst sehr spät ein. Die Langatmigkeit des Romans kam vor allem auch durch die wenigen Emotionen, die das Geschehen in mir hervorrufen. Selbst Yusuf blieb mir fremd und ich konnte wenig mit ihm mitfiebern. Der auktoriale Erzähler schaute für mich auf das Geschehene hinab und hielt immer Abstand. Gelungen fand ich die Beschreibungen des täglichen Lebens, ohne Kitsch. Die Sprache unter den Männern war zum Teil vulgär und abstoßend, dafür realistisch. Auch die Natur, Arbeits- und Kolonialbeschreibungen waren für mich realitätsnah beschrieben. Ich habe einen guten Einblick ins koloniale Ostafrika erhalten, aber gut unterhalten hat mich der Roman leider nicht. Selbst der Sprecher des Hörbuches konnte mich nicht überzeugen. Auch ihm fehlte Ausdruckskraft, seine Tonlage war sehr gleichbleibend, was natürlich zum Roman passt. Insgesamt bin ich etwas enttäuscht von dem Roman und würde ihn nicht unbedingt weiterempfehlen.

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