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Rezensionen zu
Mittagsstunde

Dörte Hansen

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Alles hat ein Ende

Von: Kristall86

19.11.2018

Brinkebüll. Ein kleines verschlafenes Dorf in der Geest. Ingwer Feddersen kehrt zurück in sein Heimatdorf. Hier ist er aufgewachsen als Sohn von Marret Feddersen. Besser bekannt als Marret „Ünnergang“. Die Frau die nicht ganz fit im Kopf ist, die, die mit den Klapperlatschen durchs Dorf läuft und die Menschen mit ihrem Gequassel unterhält. Sie hat den Ruf weg, weil sie immer und überall in allem ein Zeichen des Untergangs sieht...sagt man zumindest. Nicht ganz einfach aber egal. Ingwer hat hier noch etwas gutzumachen. Großvater Sönke versucht immer noch in seinem alten Gasthof die Stellung zu halten, aber das Alter macht im gehörig einen Strich durch Rechnung. Und da ist dann noch Großmutter Ella die so langsam den Verstand verliert. Demenz ist nun mal eine der schlimmsten Krankheiten überhaupt. In Brinkebüll schläft schon lange alles und jeder. Nur wann begann dieser Schlaf, dieser Untergang? In den 1970ern als nach der Flurbereinigung neben den Hecken auch die Vögel verschwanden oder als Ingwer nach Kiel zum studieren ging und er das Dorf im Stich gelassen hat? Dörte Hansen hat nach ihrem Erfolgsroman „Altes Land“, in meinen Augen, einen neuen Bestseller gelandet. Ihr neuer Roman „Mittagsstunde“ übertrifft alles bisher Geschriebene von ihr. Sie erzählt mit extrem viel Feingefühl und Dynamik, mit einer präzisen und detailreichen Art und Weise die Geschichte eines fiktiven Dorfes das Genauer nicht sein könnte. Ihre Charaktere strotzen nur so vor Leben und vor allem vor Genauigkeit, vor Realität. Sie hat es geschafft, eine ganz simple Analyse, eine Dorfchronik, so zum Leben zu erwecken, dass man das Gefühl hat, sie nimmt einen, geführt durch die Figur Ingwer Feddersen, an die Hand und zeigt dem Leser durch einen „Dorfspaziergang“ „sein“ Brinkebüll. Die einzelnen Charaktere wie eben Sönke Feddersen, der mit dem Kukuckskind was aber keiner laut ausspricht oder „Cowboy“ Ketelsen, der nicht so ganz richtig im Kopf ist laut den Dorfbewohnern oder Lehrer Christian Steensen...alle wachsen sie einem ans Herz. Sind alle irgendwie arme Seelen. Man lernt jeden einzelnen sehr behutsam aber intim kennen und weiß nach kurzer Zeit wie ein „Tratschweib“ was im Dorf alles geschieht. Erzählt wird, wie bereits erwähnt, aus der Sicht von Ingwer. Er lässt den Leser unverblümt an seinem Leben und Denken teilhaben. Die Geschichte handelt schlussendlich über seine letzten 47 Lebensjahre. Von seiner Geburt bis jetzt... . Hansen‘s einfacher aber bewusster Schreibstil, besonders hervorzuheben ist hier die Plattdeutsche Sprache die sie perfekt eingesetzt hat, lässt einen abtauchen und man folgt jedem Geschehen sehr gern. In regelmäßigen Abständen blickt der Leser zum Teil in die Vergangenheit aber landet auch zum richtigen Zeitpunkt im hier und jetzt. Diese Art der Erzählungen fand ich sehr gelungen. Hansen legt in ihrer Geschichte sehr viel Wahrheit. Wer glaubt das sie sich das alles aus den Fingern gezogen hat, der irrt auf ganzer Linie. Da ich selbst auf dem platten norddeutschen Land lebe und da auch der nächste Nachbar zum Teil 1 km entfernt wohnt, kann ich nur bestätigen, das was Hansen schreibt, ist definitiv alles real. Egal wie das Dorf heißt oder die Menschen die darin leben. Hier, auf dem Land gibt es solche Leute wie Marret die den Weltuntergang vorhersagen, oder Heiko „Cowboy“ Ketelsen, der noch so jeden derben Schlag aushält und eben nicht jault, oder solche Fälle wie um Marten, oder eine Frau wie Dora Koopmann, die den letzten Tante-Emma-Laden im Dorf hält....überall in den Dörfern gibt es solche Geschichten, Menschen, Erlebnisse. Das Dörte Hansen das so gut niedergeschrieben hat, zeugt davon das sie ein unheimliches Gespür und eine sehr intensive Wahrnehmung von ihrer Umgebung und Umwelt hat. Das was sie schreibt ist täuschend echt. Ihr gelegentlicher Sarkasmus untermalt diese Geschichte perfekt. Anders kann man dieses Leben auf dem Land auch nicht ertragen. Und genau diese besonderen Stellen haben es geschafft das ich mit den Brinkebüllern gelacht aber auch geweint und getrauert habe. Die Frage nach dem eigentlich Untergang wird auch irgendwie beantwortet...schuld ist die Zeit. Es heißt immer, die Zeit heilt alle Wunden aber nicht so in eben solche Dörfern. Sie macht auch kaputt. Der stetige Zeitenwandel verändert nunmal und oft auch nicht zum Positiven. Da hatte Hansens „Marret >Ünnergang< Feddersen“ recht - de Welt geit ünner. So eben auch das Leben im Dorf - egal wo. So eine simple aber eindringliche Geschichte vom Kommen und Gehen eines Dorfes niederzuschreiben, ist eigentlich ganz einfach, aber keiner kann es so gut Dörte Hansen. Sie ist eine von denen, die das Leben auf dem Land liebt und schätzt. Ein „Dörpminsch“ eben... vielleicht trauert Hansen genau diesem Leben auch mit ihrem Buch „Mittagsstunde“ hinterher...wir werden es nicht erfahren, aber ich kann sie sehr gut verstehen wenn es so sei. Und eines steht fest: dieses Buch hallt nach! Für jeden auf seine Weise. Dieses Buch gehört definitiv gelesen und ist eines meiner Jahreshighlights 2018! Ich danke dem Penguin-Verlag für das kostenfreie Rezensionsexemplar!

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Es ist Mittag im Alten Land. Die Menschen ziehen sich auf ihre Küchenbänke und Stubensofas zurück und ruhen sich aus. Doch was ist jetzt los? Der Büchereibus fährt auf den Vorplatz und hupt! Ein erstes Zeichen der Veränderung in einem kleinen Bauerndorf in Ostfriesland. Ingwer Feddersen kommt aus der Stadt zurück, um seine alten Eltern zu pflegen und erlebt ein Dorf, das er so nicht mehr in Erinnerung hat. Dörte Hansen schreibt vom Wandel, aber auch vom Zusammenhalt der Dorfbewohner. Von früheren Zeiten und von jetzigen. Von besseren und schlechteren. Und von den Charakteren, die so ein Dorf hervorbringt. Da ist der alte Sönke, der vom Krieg wieder kommt und erst einmal rechnet, ob das Kind im Bauch seiner Frau überhaupt von ihm sein kann. Und da ist Marret „halfbackt“ – die ihr Neugeborenes nicht annehmen kann und in der Schwangerschaft lieber vom Heuboden springt, als sich die Schande eines unehelichen Kindes anzutun. Denn genau das ist es noch in dem kleinen Dorf. Zumindest vor dem Wandel. Anfangs fand ich die Schreibweise von „Mittagsstunde“ noch etwas schwer und ich tat mich nicht leicht, in die Handlung zu finden. Die Leute schnacken platt – da hätte ich manchmal schon einen Dolmetscher gebraucht. Doch mit der Zeit habe ich mich dann eingelesen und auch die Handlung hat mich fortgerissen. Ich sah das Dorf sehr gut vor mir, der kleine Dorfladen, die Bäckerei, in der alle zusammenkommen, die düsteren Bauernhöfe und die kleine Volksschule, in der 9 Klassen gleichzeitig unterrichtet werden. Hansen zeichnet ein Bild vom Wandel. Ob dieser gut oder schlecht ist muss jeder für sich selbst entscheiden. Hansen zeichnet aber vor allem auch ein Bild des Dorflebens in der Vergangenheit. Und das hat mich begeistert. Wie die Leute alle treffsichere Beinamen bekommen und wie man sich am Abend im Dorfgasthaus trifft, um sich auszutauschen – so ein klein wenig habe ich auch noch davon mitbekommen und ja, manchmal habe ich mich während des Lesens doch in meine Kindheit und die Ferienzeit bei der Oma im kleinen Dorf zurückgesehnt.

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In diesem Roman entwickelt sich die Geschichte eines alten Bauerndorfs im Wandel der Zeit über sechzig Jahre. Von kleinen Bauernhöfen bis hin zur Flurbereinigung und ihren ökologisch fragwürdigen Veränderungen der Landwirtschaft. Wir lernen die Dorfbewohner näher kennen, "Dörpsminschen", die Feste feiern und hart anpacken können und von der Natur und den Jahreszeiten abhängig sind. Die ihre eigenen Geheimnisse hüten, die besondere Angewohnheiten haben oder zu solchen Unikaten zählen, wie man sie früher in jedem Dorf finden konnte. Marret ist so ein schrulliger Charakter, der mich berührt, verwundert, weil sie in ihrer ganz eigenen Welt lebt. Als sie 17-jährig ein Kind erwartet, weiß sie nichts damit anzufangen. Ihre Eltern, die Gastwirte Sönke und Ella Feddersen, nehmen ihr diese Aufgabe ab und ziehen Ingwer groß. Er geht zum Studium nach Kiel, promoviert in Archäologie und lebt in einer Dreier WG. Lange führt er dieses Leben zu dritt, doch es füllt ihn nicht aus und mit 47 macht er ein Sabbatical, um in Brinkebüll seine demente Großmutter und seinen betagten Großvater zu pflegen. Ingwer lässt das Dorfleben Revue passieren, zieht eine Bilanz seines Lebens und die Autorin fügt als Erzählerin einige Vorkommnisse hinzu. Das Buch liest sich fantastisch. Dörte Hansen zeichnet ihre Figuren mit viel Einfühlungsvermögen und ihr eingestreutes Platt sorgt für authentische Figuren. Dank der perfekt beschriebenen, knorrigen Charaktere taucht man mit ins Dorfleben ein und erlebt einen Wandel der Zeiten, der den Dörflern seine Spuren aufdrückte. Ein wunderbarer Roman mit besonderen Charakteren, deren Geschichte man gern verfolgt. Figuren und Unikate, die sich dem Leser ins Herz graben, als wären es alte Bekannte. Ein Dorfleben im Wandel der Zeit und ein ganz besonderer Heimatroman, den man unbedingt lesen sollte.

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Abschied von der bäuerlichen Kultur

Von: Christiane Wilkening aus Lassan

10.11.2018

Liebe Frau Hansen, mit Spannung und immer wieder großer Berührung habe ich der Lesung Ihrer „Mittagsstunde“ in ndr-Kultur und auch dem Interview mit Ihnen zugehört. Drei Wochen lang wurde ich jeden Morgen in meine Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren versetzt, in denen ich, nicht wie Ihre Protagonisten auf der Geest, sondern in einem schaumburg-lippischen Dorf voller Trachten und Traditionen aufgewachsen bin. Als Jugendliche habe ich den Zerfall der bäuerlichen Kultur mitterlebt: Wie die Trachten zu einem Symbol für altmodisches Leben und nach und nach von den Frauen an den Nagel gehängt wurden; wie der alte Lehrer des Dorfes mit den Schülerinnen und Schülern die alten Steine und kunstvollen Fachwerkhäuser, die einzelnen Elemente der Tracht, die alten Bäume, Bäche und Zäune der Feldmarken fotografierte, um sie für die Nachwelt, ja, das war ihm bewußt, zu erhalten. Wie das „Wachse oder Weiche!“ zum Aufgeben kleinerer oder mittlerer Höfe führte, wie junge Frauen vom Hof, auf dem sie selbständig Haus und Hof, Garten, Stall und Familie gemanagt hatten, weg in die Stadt in Drei- oder Vierzimmerwohnungen zogen und, als „Ungelernte“, irgendwelche unqualifizierten Jobs annahmen. Wie andere anfingen zu pendeln … Wie zuerst die Pferde, dann die Misthaufen von den Höfen verschwanden; wie die Spaltenböden für die Schweine eingeführt wurden, die Ställe zu Garagen und die ganze lebendige Hoflandschaft still und kahl wurden. Wie die alten niedersächsischen Bauernhäuser verkauft oder zu Wohnhäusern wurden, von keinem Hof mehr umgeben; wie die Öfen aus den Häusern gerissen und durch Nachtspeicheröfen ersetzt wurden. Wie Landhausmode Einzug hielt und aus den gerade eben noch lebendig erlebten schaumburg-lippischen Trachten, dem Achttourigen, dem berühmten Zuckerkuchen, den großen Bauernhochzeiten mit ihren Hochzeitssuppen und überhaupt aus allem Folklore wurde. Wie die Äcker immer mehr von den Ackerrändern, Böschungen und Gräben auffrassen, die zuvor noch mit Pferden beackert worden waren, wie die Hecken abgeholzt und die Wiesen umgepflügt wurden. Das war damals. Jetzt, nach einem Leben in der Stadt und Jahrzehnte später, erlebe ich hier auf dem Lande in Mecklenburg-Vorpommern, wie als Ergebnis dieses Prozesses die großflächige industrielle Landwirtschaft mit ihrer Bewirtschaftungsweise und den Ackergiften den Boden und das Leben zerstören. Was wird daraus folgen? Alle Menschen, alles, was Sie in Ihrem Buch beschreiben und auf so leichte und doch tiefe Weise erzählen, ist mir vertraut in seiner Entwicklung, in seinem Verlust und in seinem Schmerz. Ich danke Ihnen, dass Sie mit Ihrer Geschichte den Menschen auf dem Lande und dem Prozess des Zerfalls der bäuerlichen Kultur - ja, ein Denkmal gesetzt haben. Obwohl - das wollten Sie wahrscheinlich gar nicht, sicher wollten Sie kein Denkmal errichten, sondern eine richtig gute Geschichte erzählen und Menschen berühren. Das ist Ihnen gelungen. Ich danke Ihnen! Mit freundlichen Grüßen, Christiane Wilkening P.S. Zufällig las ich in derselben Zeit „Heile Welt“ von Walter Kempowski, in dem ähnliche Prozesse auf dem Lande, nur 10, 15 Jahre früher und eher in einer heiteren Weise beschrieben werden.

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In diesem Roman entwickelt sich die Geschichte eines alten Bauerndorfs im Wandel der Zeit über sechzig Jahre. Von kleinen Bauernhöfen bis hin zur Flurbereinigung und ihren ökologisch fragwürdigen Veränderungen der Landwirtschaft. Wir lernen die Dorfbewohner näher kennen, "Dörpsminschen", die Feste feiern und hart anpacken können und von der Natur und den Jahreszeiten abhängig sind. Die ihre eigenen Geheimnisse hüten, die besondere Angewohnheiten haben oder zu solchen Unikaten zählen, wie man sie früher in jedem Dorf finden konnte. Das Buch liest sich fantastisch. Dörte Hansen zeichnet ihre Figuren mit viel Einfühlungsvermögen und ihr eingestreutes Platt sorgt für authentische Figuren. Dank der perfekt beschriebenen, knorrigen Charaktere taucht man mit ins Dorfleben ein und erlebt einen Wandel der Zeiten, der den Dörflern seine Spuren aufdrückte. Ein wunderbarer Roman mit besonderen Charakteren, deren Geschichte man gern verfolgt. Figuren und Unikate, die sich dem Leser ins Herz graben, als wären es alte Bekannte. Ein Dorfleben im Wandel der Zeit und ein ganz besonderer Heimatroman, den man unbedingt lesen sollte.

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In gewisser Weise scheint das Landleben im Moment eine Faszination auf AutorInnen und LeserInnen auszuüben, denn einige Romane, die in Brandenburg, in Hessen oder im Westerwald spielen, waren letzthin recht erfolgreich. Auch der erste Roman von Dörte Hansen "Altes Land" gehört dazu. Das Buch war 2015 ein echter Bestseller. Mit "Mittagsstunde" ist nun das zweite Buch der Autorin im Penguin Verlag erschienen. Diesmal taucht Dörte Hansen noch intensiver ins Leben auf dem Dorf ein. Der fiktive Ort Brinkebüll in Nordfriesland ist der Schauplatz der Geschichte. Im Gasthof der Familie Feddersen treffen die Menschen im Dorf zusammen. Hier schlüpft die eigenwillige Tochter Marret hinter Schränke und beobachtet die Landvermesser, die in den 1960er Jahren kommen, um die Flurbereinigung vorzubereiten. Hier pflegt viele Jahre später Marrets Sohn Ingwer die alten Wirtsleute. Ingwer kennt als Vor- und Frühgeschichtler auch das Leben in der Stadt und doch kann er seine Herkunft vom Dorf nicht abschütteln. "Seltsam kreisten die Kartoffelkinder lebenslang um ihre Dörfer, blieben auf den Umlaufbahnen, die sie hielten, nicht zu nah und nicht zu fern." Mit den Landvermessern und der Flurbereinigung verändert sich das Dorf, es entstehen Landstraßen und Neubaugebiete und irgendwann kennt nicht mehr jeder jeden und manche grüßen noch nicht einmal. Dörte Hansen zeichnet diese Veränderungen mit großer Präzision nach. Dabei wird das alte Dorfleben nicht als heile Welt gezeigt. Es gibt Gewalt in manchen Familien, Engstirnigkeit und Affären. Aber die Menschen in dem friesischen Dorf leben mit einer Gleichmut und ohne große Ansprüche. Manches wird registriert, aber es werden keine Diagnosen vergeben. Und so zeichnet die Autorin eine verschwundene Welt, die es so heute nicht mehr gibt. Mir ist Dörte Hansens Roman in gewisser Weise sehr vertraut, denn die Ruhe der Mittagsstunde, wenn kein Auto fährt und niemand auf der Straße ist, die kenne ich auch aus meiner Kindheit in einem Hundertseelendorf in der Eifel. Brinkebüll ist ein Dorf, wie es überall sein könnte und daher fühlt man sich in der Geschichte schnell zuhause. Die Autorin schaut ganz genau hin. Sie blickt auf ihre Figuren mit liebevollem Respekt und ganz viel Humor. Besonders die plattdeutschen Einsprengsel und Dialoge gefallen mir gut (und sind auch für Nichtfriesen verständlich). Ein wunderbar lebendiger und warmherziger Roman, der das Landleben ganz ohne Kitsch und Verklärung zeigt. Unbedingte Leseempfehlung!

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„De Welt geiht ünner“ – davon ist Marret Feddersen schon lange überzeugt. Überall im kleinen Dorf Brinkebüll sieht die die Anzeichen: Ein Sommer ohne Störche, tote Bäume, Felder ohne Hasen, tote Rehe, tote Kinder. Marret Ünnergang, wie sie bald nur noch genannt wird, ist im kleinen Dorf Brinkebüll aufgewachsen, ihren Eltern gehört die Gastwirtschaft. Doch mit ihren Gedanken war sie immer schon ganz woanders. Mit siebzehn wird sie schwanger, danach noch sonderlicher. Jahrzehnte später kehrt ihr Sohn Ingwer ins Dorf zurück. Er ist promovierter Archäologe, steckt mit seinem Leben jedoch irgendwie fest und hat ein Sabbatjahr beantragt, um seine Großeltern zu pflegen. Nach vielen Jahren wird er wieder ein Teil der Dorfgemeinschaft und blickt mit einer frischen Perspektive auf deren Sitten und unausgesprochene Regeln. Doch wo ist sein Platz? Der erste Roman der Autorin, „Altes Land“, hat mir sehr gut gefallen, weshalb ich mich auf diesen zweiten Roman gefreut habe. Auch „Mittagsstunde“ spielt in einem dörflichen Umfeld in Nordfriesland. Dort hat sich im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte einiges verändert. Zuerst begegnet der Leser der sonderlichen Marret Feddersen. Diese verkündet jahrelang den Weltuntergang und sieht in jedem einschneidenden Ereignis ein Zeichen dafür. Auf Klapperlatschen läuft sie durchs Dorf und erzählt jedem davon, eine alte Zeitschrift des Wachtturms ist ihr Beweis. In der Gegenwart kehrt Marrets Sohn Ingwer ins Dorf zurück, dem er vor langer Zeit den Rücken gekehrt hat. Das Dorfleben hat sich inzwischen stark geändert: Der Dorfladen ist zu, die Schule auch, die meisten Bewohner haben das Vieh abgeschafft und die verlassenen Gebäude wurden von Stadtflüchtigen renoviert. Nur für Ingwers Großmutter Ella ist das alles noch lebendig, sie leidet an Demenz. Dafür ist die körperlich noch deutlich fitter als ihr Mann Sönke, der mit seiner zunehmenden Gebrechlichkeit hadert. Die Geschichte springt zwischen den 60er Jahren und der Gegenwart hin und her, sodass für den Leser deutlich wird, was sich verändert hat und welche Entwicklung die Charaktere in dieser langen Zeitspanne gemacht haben. Dabei begegnen dem Leser viele Charaktere, die etwas schrullig und verschroben, aber irgendwie liebenswert sind. Der Leser erhält Einblick ins alltägliche Dorfleben, rauschende Feste, viel Getratsche und das starke Gemeinschaftsgefühl, dass die langjährigen Einwohner verbindet. Es gibt viele unterhaltsame Szenen, zum Beispiel wenn Ingwers alter schmächtiger Schulkamerad plötzlich in Cowboykluft auftaucht, einen künstlichen Büffelschädel neben die Jagdtrophäen hängt und Zugezogenen Line Dance beibringt. Genauso oft gab es Momente, die mich berühren konnten. Denn wenn die Charaktere auf die letzten rund fünfzig Jahre zurückblicken und Bilanz ziehen, erinnern sie sich nicht nur an die schönen Momente, sondern auch an all das, was sie bereuen. Und da gibt es so einiges, vieles davon ist seit Jahrzehnten unausgesprochen. Der Autorin gelingt es, den Verlust des Ursprünglichen und den Aufbruch in eine neue Zeit mit all seinen Konsequenzen deutlich zu machen. Dabei findet sie genau die richtigen Worte. Viele Stellen habe ich markiert, weil die Sätze nur allzu wahr und treffend sind. Die Charaktere schließt man schnell ins Herz, sie haben Tiefe und ich konnte mit ihnen mitfühlen. Der Fokus liegt darauf, Momente und Gefühle einzufangen. Für Ingwer steht schließlich eine wichtige Entscheidung an, die ich gut nachvollziehen konnte. Mich konnte das Buch mit seinen authentischen Charakteren und einer starken Sprache begeistern, sodass ich es gern weiterempfehle!

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"De Welt geiht ünner." Diese Botschaft trägt Marret Feddersen, genannt Marret Ünnergang, durch das Dorf. Brinkebüll ist ein typisches nordfriesisches Dorf, wo seit Generationen alles seinen gewohnten Lauf nimmt und jeder jeden kennt. Doch mit der Flurbereinigung in den sechziger Jahren beginnen die Veränderungen. Die alten Kastanien werden gefällt, die Dorfstraße asphaltiert und verbreitert, Pferde durch Maschinen ersetzt. Und irgendwann kommen die Störche nicht mehr und der Fortschritt überrollt die Menschen. Ingwer Feddersen ist in Brinkebüll groß geworden, hat studiert und ist dann nach Kiel gezogen. Nun kommt er zurück, um sich um seine Großeltern zu kümmern. "Mittagsstunde" ist ein Roman über das Dorfsterben, über fehlenden Nachwuchs, schließende Schulen und Läden, zerfallende Dorfstrukturen. Es ist aber auch ein Roman über Zusammenhalt, Mitmenschlichkeit und Fürsorge. Mit den Dorfgemeinschaften verschwindet eine ganze Welt. Traditionen werden bedeutungslos, Wissen über das Land und seine Besonderheiten geht verloren, die Kinder sollen hochdeutsch sprechen. Das ist der Fortschritt und der Fortschritt kommt von außen. Während der Flurbereinigung wird die alte Felderstückelung aufgelöst, die Knicks niedergebaggert, der Weg frei gemacht für Großmaschinen. Wer nicht mitspielt geht unter. Ein Bauer nach dem anderen gibt auf, bis nur noch ein paar Großbauern überlebt haben. Das zieht natürlich Konsequenzen nach sich. Höfe stehen leer und verfallen oder werden von Fremden bezogen, indes nicht mehr bewirtschaftet. Die bringen ihre Kinder aber nicht zur Dorfschule und kaufen auch lieber in den Supermärkten außerhalb ein. Und ja, auch das verbesserte Bildungsangebot beschleunigt das Dorfsterben. Der Nachwuchs zieht in die Welt hinaus, das Dorf ist ihnen zu klein und eng, nur die Alten bleiben zurück. Wer nun aber denkt, Dörte Hansen hätte ein düsteres und hoffnungsloses Buch über alte Zeiten geschrieben, der irrt. Warm und ein bisschen wehmütig erzählt sie von den vergangenen Zeiten, zeigt aber auch, wie sehr die Dorfgemeinschaften unser heutiges Heimatbedürfnis ansprechen. Feinfühlig wechselt sie zwischen Gestern und Heute, porträtiert gekonnt Land und Leute. Ihre Charaktere sind das Besondere, jeder Einzelne ist einzigartig und so voller Leben, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass Brinkebüll und seine Bewohner fiktiv sind, Erfindungen einer Autorin. "Mittagsstunde"zählt für mich definitiv zu den wunderbarsten Neuerscheinungen dieses Jahres. Es ist warmherzig, humorvoll, nachdenklich und lebensnah und ich habe jede Sekunde Lesezeit geliebt. Ein bißchen Angst hat es mir aber doch auch gemacht. Wir hoffen demnächst in ein reales Brinkebüll zu ziehen, einen Neunhundert-Seelen-Ort direkt an der Nordseeküste. Und werden dort sicherlich erstmal die Zugezogenen sein, die Fremden, die einen der alten Höfe gekauft haben. Aber eines ist sicher: "moin" sagen, das können wir immer und in jedem Fall. Das hätten wir sogar vor der Lektüre dieses Romans gekonnt. Und irgendwie macht mir das dann wieder Hoffnung.

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