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Rezensionen zu
Die goldenen Jahre des Franz Tausend

Titus Müller

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Top ! Anregend ! Bewegend !

Von: Jens Hartmann aus 22145 Hamburg

29.08.2020

Top! Anregend, bewegend, Neugierde weckend auf Werke der im Inhalt genannten Schriftsteller!

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Thomas Mann, Carl von Ossietzky und ein Gesellschaftsporträt der "Goldenen Zwanziger": Das klingt zunächst nach verkopftem Intellektuellenroman für die gehobene Feuilleton-Leserschaft, während der Klappentext wiederum einen Neuzeit-Historienroman im Fahrwasser von Ken Follett und Jan Guillou verheißt. Zum Glück stimmt beides nicht. Während der krimiartige Handlungsstrang um Heinrich Ahrndt und seine politischen Ermittlungen für die Zugänglichkeit des Buchs sorgt, liefert Müller in den Szenen mit den beiden Schriftstellern eine Liebeserklärung an die deutsche Literatur ab, für die es kurz vor dem Dritten Reich um alles ging. Eine Zeit in der nichts unpolitisch sein konnte, sein durfte. Jedes Verhalten wird als Unterstützung von wahlweise Kommunismus oder Nationalismus gewertet, also bemüht sich jeder, im Zweifelsfall möglichst auf der richtigen Seite zu stehen. Eine spannende Ausgangssituation, die vor allem der titelgebende Franz Tausend für die unverschämtesten Betrügereien ausnutzt. Kaum zu glauben, dass ein windiger Geselle mit ausgerechnet diesem Namen existiert haben soll, aber der Anhang des Romans und die eigene Recherche bestätigen: ja, so war es! Das Goldmachen war nur der Gipfel, daneben betrog Tausend mit gefälschten Schecks, umlackierten Geigen und anderen chemischen Unmöglichkeiten. Dass gerade die Nazis und diverse wohlhabende Bürger aus ihrem Umfeld ihn zum Goldesel machen wollten, liefert einen wiederum wahren aber fast schon lachhaften Gegenentwurf zu den Gewaltmaßnahmen der Machtergreifung, die in den letzten Kapiteln Thema ist. So spannt Titus Müller den Bogen von den frühen Zwanzigern bis zur Nobelpreis-Kampagne für von Ossietzky und deren überraschendem Ergebnis. Vereinzelt hätte man sich noch eine Vertiefung mancher Figuren gewünscht, gerade Franz Tausend verschwindet nach einiger Zeit bis kurz vor dem Ende aus der Handlung, was dem Roman insgesamt aber nur wenig schadet. Mit seinem für dieses Genre relativ knappen Umfang ist er trotzdem dicht vollgepackt mit spannender Handlung, historischen Ereignissen und exzellent recherchierten biografischen Notizen zu Thomas Mann und Carl von Ossietzky. Gerade das Porträt des ewigen Selbstzweiflers Thomas Mann, der es noch zu Lebzeiten zu Ruhm und Preisen brachte und sich zuweilen als Hochstapler sah, dürfte viele Erfahrungen anderer Autoren widerspiegeln, die sich schon im "ernsthaften" Literaturbetrieb ausprobiert haben. Während Mann heute als literarisches Nationalheiligtum gilt, stand er selbst einst im Schatten des "heimlichen Kaisers" Gerhart Hauptmann. Gerade der Bezug zur großen Literatur ist hier ähnlich großartig herausgearbeitet wie in Uwe Tellkamps wuchtigem Ost-Epos "Der Turm", nur ist "Die goldenen Jahre des Franz Tausend" deutlich angenehmer zu lesen. Insgesamt eine hochinteressante Mischung verschiedenster Aspekte und ein damit einzigartiger Blick auf eine brodelnde Epoche, der sich von vielen gewöhnlicheren Werken abhebt. Bonusmaterial: Anhang mit historischem Hintergrund und Literaturverzeichnis

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Franz Tausend war ein Hochstapler und Betrüger. Viele reiche und geltungsbedürftige Menschen kauften auf gut Glück und sehr naiv seine „Goldgutscheine“. Gold? Er behauptete sich viele Jahre bis zu seiner Verhaftung als Chemiker, der Gold „wachsen lassen konnte“. Und viele glaubten ihm. Vorrangig solche, die im Hintergrund pro Adolf Hitler die Fäden zogen. Sie alle ließen sich gewaltig blenden und blendeten selbst andere. Man könnte also sagen, es traf die Richtigen. Müller nimmt außer Tausend auch Literaten und den Journalisten Carl von Ossietzky ins Visier. Als mittelnde, fiktive Figur kommt ein so genannter politischer Polizist ins Spiel. Durch seine Brille erlebe ich die 1920- und 1930-er Jahre auf eine recht spezielle Art. Zuerst ist er Franz Tausend in München auf der Spur. Wohl etwas zu sehr und er begeht einen formellen Fehler, seine Vorgesetzten entlassen ihn. Jemand, der einen guten Schnüffler gegen Ossietzkys Zeitungsredaktion in Berlin braucht, bringt in auf die Idee bei der Berliner Politischen Polizei anzuheuern. Doch der Polizist wird zum Pazifist. Sehr zum Knurren der Strippenzieher, die die SA und SS aufbauen. Müller bringt so intensiv das Geschehen auf den Punkt, dass man glaubt, er wäre dabei gewesen. Auch von den Konzentrationslagern wussten viel recht früh. Auch Leute, wie unangenehm-intellektuelle Journalisten kamen bereits vor 1936 in KZs, bekamen Tuberkulose und anderes gespritzt, wurden mundtot „gearbeitet“. Einerseits sehr erschreckend. Andererseits so gut verfasst und miteinander in Zusammenhänge gebracht: Die Dummheit der Nazis, ihre Verblendung und ihr Vorgehen. Ein hervorragender Roman!

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Fazit: Die große und absolut zufällig entstandene „Im reisswolfblog gibt es Bücher zu Kaiserreich und Weimar“-Reihe geht in ihre nächste, vermutlich auch erst mal letzte Runde. Von Anfang an stand für mich fest, dass Titus Müllers neuer Roman in den Bereich der „muss-ich-haben“-Bücher gehört, da mich einerseits Bücher faszinieren, die auf historischen Tatsachen beruhen, zum anderen Hochstaplergeschichten im speziellen, weil ich mich immer frage, wie, mit Verlaub, hinterfotzig die einen und wie leichtgläubig die anderen Menschen sein können, und letztlich natürlich eben auch, weil mich die Zeit, in der „Die goldenen Jahre des Franz Tausend“ spielt, momentan sehr interessiert. Und ich bekam mit diesem Roman nicht nur das, was ich wollte, sondern tatsächlich unerwarteterweise noch sehr viel mehr. So viel mehr, dass ich gar nicht genau weiß, wo ich anfangen soll. Relativ schnell wird dem irrtierten Leser deutlich, dass die Geschehnisse rund um den namensgebenden Franz Tausend zwar das Hintergrundthema für Müllers Roman bieten, dass aber eben jener Franz Tausend vielleicht nicht wenig, aber doch vergleichsweise wenig Erzählzeit spendiert bekommt, denn im Vordergrund stehen hier ganz eindeutig ganz andere Personen, namentlich Thomas Mann und Carl von Ossietzky. Und Titus Müller gelingt hierbei beeindruckend das absolute Gegenteil von „Namedropping“: Es gelingt ihm, die beiden berühmten Persönlichkeiten wirklich umfassend und lebendig zu charakterisieren. So wird beispielsweise Thomas Mann als eine Person gezeichnet, die eigentlich unter veritablen Selbstzweifeln leidet, zumindest, was das eigene literarische Werk angeht, und der oftmals mit Dingen, die nichts mit dem Schreiben zu tun haben – beispielsweise seinen eigenen Kindern – überfordert scheint. Ähnlich verhält es sich mit Ossietzky, der ebenfalls an sich und eigentlich der Sinnhaftigkeit von allem zweifelt, sich Hals über Kopf in eine Affäre stürzt, aus der er nur schwer wieder entkommen kann, der aber zumindest hinsichtlich seiner politischen Überzeugungen unumstößlich wirkt, und gerade deswegen leider letztlich viel erleiden musste. Dazu gesellt sich mit dem Polizisten Heinrich Arndt ein Protagonist, der ähnlich gut gelungen ist. All diesen Figuren ist gemein, dass sie – ganz im Gegensatz zu all den Materialien, von denen Franz Tausend behauptet, er könne sie zu Gold machen – tatsächlich eine Entwicklung durchmachen. Thomas Mann vom Zweifler zum Nobelpreisträger, Ossietzky vom Fremdgänger zum unbeugsamen Pazifisten und Friedensnobelpreisträger und Heinrich Arndt vom weisungsgebundenen Mitarbeiter des Staatsapparates, der eigentlich nur seine baldige Unkündbarkeit aufgrund seiner absolvierten Dienstjahre im Kopf hat, hin zu einer Person, die den Staat und seine Mechanismen hinterfragt und nach seinen Überzeugungen handelt. Müller gelingt aber noch viel mehr als diese überzeugenden Charakterzeichnungen. Es gelingt ihm, ein wirklich komplexes Bild der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit zu entwerfen. Und das ist für Leser gänzlich ohne entsprechende Vorkenntnisse vielleicht manchmal nicht ganz leicht, überfordernd wirkt der Roman allerdings an keiner Stelle. Auch weil man, wenn man mal eine der zuhauf genannten politischen oder literarischen Persönlichkeiten nicht kennt, diese auch guten Gewissens einfach mal ignorieren kann. Auffällig ist dabei, wie häufig sich, zumindest für mich Parallelen in die heutige Zeit finden lassen: Beispielsweise im Umgang mit der NSDAP, deren Erfolge kleingeredet werden, weil sie bei den Wahlen im September 1930 ja „nur“ 18,3 Prozent erreicht hat, und man sie schon noch wird klein halten können. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen … Beispielsweise hinsichtlich des Gerichtsprozesses gegen Ossietzky. Dieser hatte in seiner Zeitung lediglich erwiesene Fakten zu Rüstungsprojekten der Reichsregierung veröffentlicht, welche gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages verstoßen. Anstatt ihn zu belobigen, verklagt man ihn. Ein bisschen erinnert mich das an die Ereignisse rund um die Cum-Ex-Geschäfte, bei denen nicht etwa zuerst die Leute vor Gericht gezerrt wurden, die dafür verantwortlich sind, sondern die, die sie publik gemacht haben. Beispielsweise hinsichtlich der Justiz und ihrem Umgang mit rechtsradikalen Politikern, Gewalttätern und sonstigen Idioten. Während die Justiz damals bereits zu großen Teilen mit den Rechten sympathisierte und man sich beispielsweise damit hervortat, die Verantwortlichen des Röhm-Putsches vergleichsweise milde zu bestrafen und/oder verzeitig zu begnadigen, hatte man heute lange Zeit einen Verfassungsschutzpräsidenten, der Flüchtlingsboote im Mittelmeer als „Shuttle-Service“ bezeichnet und eine Justiz, die sich standhaft weigert, Verbindungen zwischen einzelnen Mitgliedern rechter Terrornetzwerke in Bundeswehr, speziell KSK, und Polizei zu ziehen, und diese stattdessen als Einzeltäter bezeichnet, weil man ja für eine terroristische Vereinigung eine Mindestpersonenanzahl braucht, die „nachhaltig“ versuchen müssen, „politische Ziele“ umzusetzen, man aber mindestens einen der Begriffe „nachhaltig“ oder „politische Ziele“ seitens der Justiz vehement bestreitet, und das alles augenscheinlich nur, weil es nicht im Sinne der Justiz sein kann, wenn man zugeben müsste, dass sich in Polizei und Militär rechte Terrornetzwerke bilden. Beispielsweise wenn es heißt: „Die SPD ist ein kläglich verlassenes Wrack, dem die Massen nach links und rechts wegströmen.“ (S. 132) – Okay, der war gemein. Aber ich darf das. Außerdem stimmt es. Insgesamt betrachtet also eigentlich ziemlich erschreckend, oder!? Titus Müller schafft es darüber hinaus auch stilistisch, dem ansonsten hohen Niveau des Romans in nichts nachzustehen. Vor dem Hintergrund des ohnehin schon komplexen Romanthemas finde ich es umso erfreulicher, dass der Stil nicht überkomplex daher kommt und sich, mag es auch nach einer Floskel klingen, einfach gut lesen lässt. In Summe ist „Die goldenen Jahre das Franz Tausend“ ein wirklich wunderbarer Roman, den ich am Setting interessierten Leserinnen und Lesern wirlich mit Nachdruck empfehlen kann. Ich danke der Buchhandlung meines Vertrauens, die mir dieses Buch als Bestandteil meiner zuletzt getätigten und, für meine Verhältnisse, recht umfangreichen Solidaritätsbestellung, erfreulich schnell bis vor die Haustür zukommen ließ.

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