Die große Liebe. Es gibt sie noch in Hollywood, in Kitschromanen und in unseren Fantasien. In der Literatur aber ist man bemüht, die sogenannte Realität abzubilden: die Liebe in der Beziehungskiste, die Liebe als Affäre, die Liebe als Ding der Unmöglichkeit. Und wo sie doch einmal groß ist, muß sie enden, meistens tragisch, verwickelt und verzwickt, wie es sich für gute Literatur gehört. Nur Hanns-Josef Ortheil ist da anderer Meinung. Er hat seinem neuen Roman demonstrativ den Titel „Die grosse Liebe“ gegeben und hört erst auf Seite 317 auf, den Leser von ihrer Existenz, d.h. von seiner Geschichte zu überzeugen. Tatsächlich, Liebe und Literatur sind sich in vielem verwandt, bei beiden kommt es auf das Wie an. Das Was ist doch immer dasselbe und Nebensache und rasch angerührt. Hier ein Mann, da eine Frau, dazu eine Situation. Auch Ortheil hat für sein Was ein so gebräuchliches Rezept gewählt, dass der Leser sich nach den ersten Seiten fast brüskiert fragt, ob er hier nicht vielleicht doch Kitsch serviert kriegt: Italien, Sonne, Sand und Meer, la dolce vita, ein freier Mann, eine schöne gebräunte Frau mit roten Haaren und grünem Kleid, köstliche Fischgerichte, eisgekühlte Aperitifs, auf jeder Seite eine Flasche Weißwein - das Leben: ein Genuß! Aber dieser Genuß steigt weder zu Kopf noch verebbt er. Der Ich-Erzähler, ein Münchner Fernsehredakteur, schafft es nämlich immer, seine Geschichte mit einer nüchternen, sprachlich ausgewogenen Erzählweise über Wasser zu halten. Seine Beobachtungen bleiben präzise, seine reizvoll am Meer orientierten Interessen gewahrt, die vielen Eindrücke seiner angeregten Sinne auf angenehme Weise nachvollziehbar.
Es ist überhaupt sehr angenehm, dieses Buch zu lesen, nicht nur, weil die italienische Adria in ihren schönsten Farben zum Leuchten gebracht wird, sondern vor allem, weil man es, der eigenen hartnäckigen Skepsis zum Trotz, n i c h t mit Kitsch zu tun hat, sondern mit der Wirklichkeit einer großen Liebe, der man ein wenig über ihre glücklichen Schultern schauen darf. Ihre Dramaturgie ist einfach: Ortheil kappt die Spitzen. Wo es gefährlich zu werden scheint, passiert schließlich nichts. Die Spannung wird geschickt aufgebaut, aber dadurch, daß Ortheil die erwarteten Bedrohungen im Sande verlaufen läßt und die Nebenbuhler nur wütend fuchteln, aber niemals zustechen, mündet alles mit souveräner Leichtigkeit in der Liebesbeziehung, die keiner Katastrophe bedarf, weil sie eben ewig ist und bleibt.
Schwächen hat das Buch auch: wie jede große Liebe redet sie ein bisschen zu viel über sich selbst. Die Tatsache, dass es sie ja offensichtlich doch gibt, wird zelebriert, ein bisschen, nicht schlimm. Als Franca am Schluß dann wirklich nach München kommt, sind alle Fragen aufs Schönste beantwortet - und der Vorhang offen.