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Rezensionen zu
WEST

Carys Davies

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Wäre Literatur Schinken, man könnte sich von West (Carys Davies) tatsächlich ziemlich vergackeiert fühlen. Das Buch hat knapp 200 Seiten, auf denen ohne jeglichen Absatz jeweils nur 1500 Zeichen Platz finden. Kapitel werden regelmäßig von Leerseiten getrennt, so dass insgesamt mehr als 46 Seiten komplett leer bleiben. In einem etwas typischere Format hätte West also kaum mehr als 100 Seiten. Auf Amazon gibt es dann auch eine Besprechung, die genau diese „Dehnung“ kritisiert. Aber da liegt eine Verwechslung vor. Auch wenn man manchmal von alten oder dicken Schinken spricht: Bücher sind keine Schinken, und „mehr Buch“ ist nicht unbedingt besser. In den meisten Fällen sogar: Im Gegenteil. In diesem Fall: Sicher. Das Klischee vom Wilden Westen West ist ein stiller Western. Ein Roman über die noch immer frühe Phase des Nordamerikanischen Kolonialismus. 1815, als das Werk spielt, war der Großteil des Kontinents noch kaum von Weißen erschlossen, man verdrängt das gern und wundert sich etwa auch bei der Lektüre der Leatherstocking Tales (Lederstrumpf), dass die sich eigentlich alle in der „Wildnis“ rund um Massachusetts abspielen (Die Expedition von Lewis and Clark war gerade einmal 10 Jahre alt). Und dennoch war der Westen nicht „wild“, wie er sich ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat. Sondern bewohnt von zahlreichen Gruppen amerikanischer Ureinwohner, den vertriebenen Überbleibseln der großen Epidemien, die der Kolonialismus gebracht hat, von ausdifferenzierten Kulturen, die die meiste Zeit anderes im Kopf hatten, als weiße Siedler oder sich gegenseitig zu morden. Das ist nicht das Hauptthema des Buches, klingt aber vorsichtig an und erklärt, wieso ein „stiller Western“, in dem es kaum Katastrophen gibt, keine Überfälle, kein Skalpieren, nur eine lange Reise mit kleinen Rückschlägen, die abrupt in einer Krankheit endet, überhaupt möglich ist. Einer anderen Rezension fehlen genau die „… Bären, … Schlangen, … Tornados, … Wölfe, … Büffelherden, … Berglöwen, … Unwetter, … Wasserfälle, … Canyons. “ – aber das ist Karl May, ist Clint Eastwood. Sicher gibt es auch auf dem Weg zwischen Massachussets, St. Louis, und dann den Missouri aufwärts, atemberaubende Anblicke zu genießen. Aber das Panoptikum der Western-Klischees wäre doch eher fehl am Platz. Die Expedition auf der Lewis & Clark – Route scheiterte ja noch weit vor den Rocky Mountains. Spiel mit Bildern Dennoch ist der kulturindustrielle Western natürlich anwesend, diesen Bildern kann man sich gar nicht entziehen. Und deshalb muss, um ihre Geschichte lebendig zu gestalten, Davies auch gar nicht viel Landschaft beschreiben. Sie spielt vorsichtig mit den vorhandenen Bildern, ruft hier und da ein Klischee auf – einen Trapper, einen Scout der Shawnee, die Behauptung, die Sioux seien „blutrünstig“ – und unterläuft es in der Folge durch die Stimmung und Handlung. Der grobe Rahmen ist der Aufbruch von Cy Bellman, der in einer Zeitung von gigantischen Knochen gelesen hat, und die Tiere dazu aufspüren möchte in den „leeren“ Regionen des Landes. Es dürfte sich um Mammuts handeln, man denkt aber auch an Dinosaurier. Im Hintergrund findet aber mehr statt: Wir erfahren, dass Cy vor nicht allzu langer Zeit seine Frau verloren hat. Die Reise ist die Flucht vor der Flucht, denn schon Amerika selbst war für ihn eine solche. Mit dem Scheitern der zweiten Flucht wird auch zusehends die erste fragwürdig. Dabei ist West auch kein modischer „Antikolonial-“Roman. Cy ist eher ein Quixote des Kolonialismus, sein Handeln schadet eigentlich niemandem. Aber West behandelt überhaupt das Motiv des ursprünglichen Aufbruchs mit großer Empathie. Seine gewohnte Umgebung verlassen, anderswo ein neues Leben finden, auch die Neugier, die pure Entdeckerlust – erstmal ist das nichts Verdammungswürdiges. Die große Barbarei des Kolonialismus kam schleichend, und umso mehr desto mehr organisierte wirtschaftliche Akteure und staatliche Organisationen das Heft in die Hand nahmen. Die „wilde“ Heimat Dem Bild von der zwar am Ende tödlichen, doch eigentlich alles andere als wilden Wildnis stellt Davies die Unsicherheit von Heimat und Familie gegenüber. In das Haus von Cys Schwester drängt ein neuer Mann, der anfangs die Schwester heiraten möchte und das Gut übernehmen, schließlich jedoch der erst zwölfjährigen Tochter nachstellt und diese vergewaltigt. Das mag man nun etwas plakativ finden, es ist alles andere als plakativ aufgebaut. Und wahrscheinlich galt bereits damals, was noch heute gilt: Die meisten Verbrechen geschehen im nahen Verwandten- und Bekanntenkreis sowie in den größeren Städten. Das Ende allerdings versemmelt West ein wenig, ich nehme es hier nicht vorweg. Und auch wenn der Roman im Ganzen wirklich gelungen ist, ist er vielleicht nicht ganz so gut, dass man sich gedrängt fühlt, ihn wieder und wieder zu lesen. Und gerade diese Möglichkeit, auf engem Raum immer neue Facetten zu entdecken ist ja die eigentliche Stärke des dichten literarischen Werkes. Deshalb hängt es dann doch stark von den persönlichen Leseinteressen ab, ob man an West seine Freude findet.

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>>WEST lässt uns eintauchen in den Mythos des amerikanischen Westens und erzählt von der Hingabe und Verletzlichkeit der Menschen<< laut 'San Francisco Chronicle. Viele positive und beeindruckende Stimmen haben mich sehr sehr neugierig auf dieses Buch werden lassen und letztlich kann ich sagen war es auf jeden Fall ein Ausflug in den wilden Westen. Wir erfahren hier die Geschichte von Cyrus, der sich aufmacht in den Westen um Mythen hinterher zu jagen und dabei das eigentlich wichtigste zurück lässt, nämlich seine Tochter Bess. Die Junge Bess muss sich in die Obhut ihrer Tante begeben und schnell stellt man als Leser fest, dass Gefahren lauern, sowohl in unmittelbarer Nähe als auch in der Ferne. Das Buch ist eine eher seichte Lektüre, die so ihre speziellen Besonderheiten hat, die man einfach mögen muss. Es ist kein Mainstream Buch und man kommt hier definitiv auch in den Genuss auch hin und wieder zwischen den Zeilen lesen zu dürfen. „WEST“ von Carys Davies bringt einem hier auf wenigen Seiten den amerikanischen Westen näher, aber wie ich finde auf ehrliche, manchmal rohe Art und Weise und hebt sich dadurch für mich persönlich sehr von den üblichen Cowboy-Stories ab. Mir hat das Buch insgesamt wirklich gut gefallen, für meinen Geschmack hätte das Ende ruhig noch etwas länger, etwas ausgeschmückter sein dürfen, wobei ich stark vermute, dass es Absicht der Autorin war, die Gedanken des Lesers zum Ende nochmal ein bisschen in Bewegung zu bringen.

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>> „Sie sagte, sein Plan sei verrückt. Er solle die Zeit mit etwas Sinnvollerem verbringen, er solle in die Kirche gehen oder sich eine neue Frau suchen.“ >> Das nenne ich mal einen kurzweiligen Roman. Mit nur 204 Seiten ist dieses Buch mein kürzestes in diesem Jahr. Aber kommen wir zu meinem Eindruck: Carys Davies erzählt die Geschichte von Bess und ihrem Vater Cy aus beiderlei Perspektiven. Bess ist Daheim geblieben und berichtet von ihrem eintönigen Leben. Cy hingegen erlebt allerlei auf seiner Reise. Er hat alles aufs Spiel gesetzt um die unbekannte Kreatur im Westen zu finden. Der Roman ist äußerst sachlich und wenige Ausführungen über genauere Erlebnisse, stattdessen ist der Erzählstil schlicht und hält sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Dennoch muss ich sagen, dass ich mir etwas mehr Infos über den Mythos des Westens der USA erfahren hätte. Unsicher bin ich mir auch, ob das Buch noch bei mir lange nachhallen wird und ob ich alles richtig gedeutet - aber wahrscheinlich wollte dies Carys Davies genau erreichen.

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Pennsylvania, 1815. Der Maultierzüchter John Cyrus (Cy) Bellman ist von einer unglaublichen Entdeckung wie besessen. Im Westen der Vereinigten Staaten sollen Knochen gigantischer Tiere gefunden worden sein. Bellman verlässt Haus und Hof und gibt seine Tochter Bess in die Obhut seiner Schwester, um diese Tiere zu sehen. Seine Reise treibt ihn durch wildes Land und lässt ihn verschiedene Persönlichkeiten treffen. Er erlebt trockene Sommer und bitterkalte Winter unter freiem Himmel. Auf gerade einmal 200 Seiten erzählt Carys Davies eine Geschichte der Suche und der Selbstfindung. Hierbei verlässt sie sich vollkommen auf die Stereotypisierung der Leserschaft für jene Zeit. So lässt sie nahezu jegliche Beschreibung von Äußerlichkeiten und Lebensumständen aus. Die Geschichte lebt von ihren Personen, von ihrer Entwicklung und der Reise durch eine wunderschöne Natur. Die Sparsamkeit der Seiten führt dazu, jeden Satz genau zu lesen und die Vorstellungskraft immens anzuregen. Jedes Wort scheint mit Bedacht gewählt worden zu sein und übermittelt so zusätzlich die Botschaft, die ich aus diesem Buch las: Erfülle deinen Traum, wie viel Wind dir auch entgegen weht.

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Es gibt nicht viele Autoren, die mit wenigen Worten einen komplexe Geschichte erzählen können. James Sallis hat diese Fähigkeit. Aber auch Carys Davies, die mit „WEST“ beweist, dass auch sie über diese Begabung verfügt. Gerade einmal 208 Seiten hat dieser schmale Roman, von der „Sunday Times“ und dem „Guardian“ mit dem „Best Book of the Year-Award“ ausgezeichnet. 1815. Nachdem er in der Zeitung von einer spektakulären Entdeckung in Kentucky gelesen hat, möchte der Maultierzüchter und Witwer John Cyrus Bellman diese riesigen Tiere mit eigenen Augen sehen. Die beschriebenen Knochen befeuern seine Fantasie und lassen ihn den Aufbruch ins Ungewisse wagen. Raus aus den Tretmühlen des Alltags, von Pennsylvania nach Kentucky. Er hat keine genaue Vorstellung von dem „Wie“, „Wohin“ oder „Wie lange“, weiß nur, dass er auf die Reise gehen muss, immer Richtung Westen. Auch wenn seine Tochter nicht mitkommen kann, sondern von seiner Schwester bis zu seiner Rückkehr in maximal zwei Jahren beaufsichtigt werden soll. Allen Widrigkeiten zum Trotz bricht er auf, gelangt er voran, stellt aber bald fest, dass ihm die Fertigkeiten fehlen, auf lange Sicht in der Wildnis zu überleben. Der eingepackte Tand zum Eintauschen von Nahrung und Gefälligkeiten wird knapp, doch ein Pelzhändler überlässt ihm einen seiner Helfer, einen jungen Shawnee namens „Alte Frau aus der Ferne“. Dessen Stamm wurde im Zuge der Landnahme von den Siedlern vertrieben. Abgespeist mit Versprechungen und doch betrogen. Bellman und Alte Frau aus der Ferne, zwei wie Don Quijote und Sancho Panza, ziehen gemeinsam weiter, immer Richtung Westen, immer auf der Suche nach dem Unbekannten. Der eine mit einer Vision, der andere ihm zur Seite gestellt, ihm folgend. Verlust und Glaube, das sind die beiden Themen, um die dieser Roman kreist. Der Glaube daran, dass der Vater zurückkehrt. Der Glaube daran, dass der Westen ein außergewöhnliches Erleben bereithalten wird. Davies verzichtet auf ausufernde Beschreibungen, fügt aber immer wieder solche Elemente ein, die wir mit klassischen Western verbinden. Sie ändert gekonnt die Tonlage, wenn sie zwischen den Kapiteln des Reisenden und denen der daheimgebliebenen Tochter hin und her wechselt. Hält so das Interesse des Lesers am Schicksal sowohl des einen als auch der anderen wach, verliert aber auch nie die darunter liegende Geschichte des Verlusts aus dem Blick, nämlich die Vertreibung der Ureinwohner, hier vertreten durch Alte Frau aus der Ferne. Und er wird es auch sein, der den Kreis schließt.

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Bellmans Tochter

Von: wal.li

15.07.2019

In einer Zeitung liest er von den großen Tieren und er muss sich auf den Weg machen, um sie zu suchen. Im Jahr 1815 verlässt Cy Bellman seine 10jährige Tochter Bess. Mit einem schwarzen Zylinder und einem langen Mantel, zu Pferd und bewaffnet, einige Dinge im Gepäck, die sich zum Eintauschen eignen. Er verspricht, seiner Tochter so häufig wie möglich zu schreiben. In der Obhut ihrer Tante, die von Bellmans Unternehmung absolut nichts hält, beginnt Bess auf Nachricht von ihrem Vater zu warten. Bellman reitet westwärts, dahin wo er sein Ziel vermutet. Häufig schreibt er, aber wichtiger ist ihm seine Expedition. Bellmans Leben ist etwas eingefahren, seine geliebte Frau ist allzu früh gestorben, seine Maultierzucht ist erfolgreich, aber auch ein Einerlei. Seine Tochter Bess kann ihn nicht halten, zu sehr ist er auf sein Abenteuer fixiert. Die Sehnsucht nach der Ferne ist zu groß. Sein Weg ins Ungewisse ist beschwerlich, doch beschwerlich es auch für Bess, ohne ihren Vater groß zu werden. Die daheim gebliebenen halten seine Reise für den größten Unsinn und das kann Bess nicht gelten lassen. Doch die Briefe ihres Vaters lassen auf sich warten. Die Schauplätze in diesem ergreifenden Roman wechseln zwischen Bess’ Erlebnissen und denen ihres Vaters hin und her. Als Leser weiß man also, wie es in beider Welt zugeht. Man erfährt den Enthusiasmus, mit dem sich Bellman auf den Weg macht. Und man erlebt Bess’ Trauer über das Fehlen ihres Vaters, ihr Leben mit der strengen Tante und dem Nachbarn, der bei der Bewirtschaftung des Hofes hilft. Ob dessen Hilfe so selbstlos ist? Je länger ihr Vater fort ist, desto sehnsüchtiger beginnt Bess zu warten. Und je länger Bellman vergeblich nach den großen Tieren fahndet, desto häufiger werden die Gedanken an seine Tochter und desto größer wird seine Hoffnung, dass seine Briefe sie erreichen. Eine einfache Geschichte von Vater und Tochter, eine Geschichte, die abgerundet ist, die traurig ist, vergeblich, sehnsuchtsvoll und doch eine große Stärke ausdrückt. Zu Beginn ahnt man nicht, welche Reise einem bevorsteht, mit jeder Leseminute, die vergeht, wird man immer mehr berührt von Bellmans und Bess’ Schicksal. Dieser Roman ist ein echtes Kleinod aus der Zeit des wilden Westens, in der der Forschergeist manchmal stärker war als die Liebe zum eigenen Kind. 4,5 Sterne

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Wie war das noch mit Luther? Luther-Jahr und Luther-Legofiguren und Margot Käßmann als Botschafterin Luthers? Alles Schnee von gestern! Wir hier in Berlin haben 2019 gleich zwei Helden auf den Schild gehoben. Auf nach Neuruppin!, ruft Fontane durch den Regionalexpress. Humboldt hat es einfacher. Ihm zu Ehren wird ein Schloss gebaut und darunter die Kanzler-U-Bahn. Wieso ich das schreibe? Weil die Herren Luther und Fontane und Humboldt die Welt entdeckten und entdecken wollten. So wie John Cyrus Bellman die Welt entdecken will. Zu einer Zeit, als die USA gerade bis St. Louis reichen. Ein Land von trampeligen Bauern, Sklavenhaltern und sehr viel Nichts. 1815 – Bellman ist eigentlich kein Abenteurer. Vielleicht ein kleiner. Jedenfalls liebt er seine Tochter Bess und im Geiste ihre Mutter. Die Ansammlung von Häusern, in der sie leben, ist keineswegs groß, geschweige denn mondän. Doch was man braucht, ist vorhanden: Die Main Street, die Kirche und vor allem die Nachbarstadt Lewistown mit ihrer Bibliothek. Bellmans Schreib- und Lesekompetenz ist leidlich. Aber er verstand die Worte im Artikel der Zeitung. Einem Artikel, in dem von großen, gar riesigen Tieren die Rede war. Und da packt Bellman beim Lesen der Drang zum Suchen und Nachsinnen. Auf zu neuen Ufern, auch wenn die See die Prärie und der Preis einer der höchsten sein wird. Er will sie finden. Muss sie finden, diese gigantischen Tiere. Er will der Erste sein, der sie lebendig sieht. Also ritt er los und die „Vorstellung, dass es jenseits der bekannten Welt immer noch etwas gab, von dem man nie geträumt hätte, verlieh ihm Kraft“ (S. 142). Bellman reitet einer ungewissen Zukunft entgegen. Getrieben von Neugier und Forscherdrang. Menschlicher Neugier, die Bellman veranlasst, seine Tochter und den Hof Julies Argwohn zu überantworten. Julie, Bellmans rüde Schwester, die nicht nur Bellmans neuen Zylinderhut als irrsinnig bezeichnet. Als Bellman aufbricht, war Bess grad zehn gewesen. Man galt viel früher als erwachsen, damals. Anyhow! Westwärts, immer westwärts. Dem Sunset Boulevard entgegen. Bess vergöttert ihren Vater kindlich, weshalb Carys Davies einen Roman in leichter Sprach schrieb. Einer Sprache, die auf zarte Weise Bellmans infantile Neugier herrlich transportiert und zugleich mit der Wortwahl von Kindern kongruent zu seien scheint. ‚West‘ sind 204 Seiten Westernroman, ohne klassische Westernklischees zu bedienen. Dafür bedient sich Davies zeitgenössischer Stereotype. Rollenbilder, bei denen ich selten den Eindruck hatte, sie seien aufdringlich. Im Sub-Subtext verpackt, ursprünglich, manchmal keusch, immer stringent und nie kritiklos. Carys Davies Sprache ist Schlüssel zum Verständnis – nicht die Handlung. Eine Sprache, die viel abverlangt. Was The Guardian umwerfend bezeichnet, muss gesucht und will gefunden werden. Es steht zwischen den Zeilen, nicht in ihnen. ‚West‘ ist weniger Roman als Fabel. Eine Fabel mit Ringparabel der neuen Welt im Geiste der alten. Einer Parabel vom Aufbrechen und Umkehren. ,West‘ fügt sich in meine Lesereihe zur US-amerikanischen Geschichte. Nach ‚Tage ohne Ende‘ und ‚Butcher’s Crossing‘ bildet ‚West‘ den Kontrapunkt. Kontrapunkte sind wichtig für Harmonie. Und ‚West‘ ist ein harmonischer Roman. Eine Fabel als Roman, die vordergründig mild und gefahrlos, doch im Kern brausendes Toben von West nach Ost mit sich bringt. Mein Fazit: ‚West‘ ist Carys Davies‘ ‚Stechlin‘. Tief, sehr tief. Und klar! Klar und erfrischend. Das Richtige bei 35 Grad. Expeditionen lohnen nicht nur an Humboldts Geburtstag.

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Ein spektakulärer Fund in Kentucky heizt die Fantasie des Maultierzüchters Cy Bellmann im Jahr 1815 an. Der aus Irland stammende Mann, der mit seiner kleinen Tochter ein einfaches Leben führt, packt kurzentschlossen seine Sachen und verabschiedet sich für ein, maximal zwei Jahre von seiner Familie. Die großen Tiere, von denen die gefunden Knochen stammen, müssen noch irgendwo da draußen leben, im Westen, und wenn er dem Mississippi folgt, wird er sie schon zu Gesicht bekommen. Der Glaube an etwas Eine Reise mit ungewissem Ausgang, das ist es, was Cy Bellmann vorhat. Wir werden hineingeschleudert in diese Situation, in der schon alles feststeht. Die Sachen sind gepackt, die Hand der Tochter ein letztes Mal gedrückt. Den Maultierzüchter zieht es hinaus in die unbekannte Welt, am Mississippi entlang, die Route der Entdecker. Wie lang es wohl dauert, fragt ihn seine kleine Tochter Bess zum Abschied. Maximal zwei Jahre antwortet er ihr voller Zuversicht. Es sind nur einige tausend Meilen zu bewältigen, hin und zurück, an den fernen Bergen wird Schluss sein. So zieht er von dannen und wir begleiten abwechselnd sein Leben und das der zurückgelassenen Tochter, die älter und älter wird, während ihr Vater sich immer weiter von ihr entfernt. Dabei stellt man fest, dass Carys Davies es versteht, kein Wort zu viel auf die Seiten zu packen. Das geschnürte Päckchen enthält wenige Sachen, Dinge zum Tausch und zum Überleben. In sparsamen Ausführungen folgen wir also der Route, die Cy Bellman einst auf einer Karte betrachtete, und die auch später seine Tochter in der Bibliothek verfolgen wird. Dabei spielt der Glaube eine zentrale Rolle in der Geschichte. Der Glaube an die großartigen Tiere in der Fremde, der Glaube an die Zukunft, der Glaube an eine glückliche Heimkehr. Doch die Umstämde sind denkbar schlecht, auf Bess und ihren Vater warten Gefahren, die wohl keiner vorhergesehen hätte. Auch ein kleiner, krummbeiniger Indianer ist mit von der Partie, ein Vertriebener, der doch die beiden Schicksale miteinander verbindet und seinen Anteil daran hat. Fazit Es ist ein Abenteuerroman von poetischer Ruhe, dem kein Wort zu viel anhaftet. Geheimnisvoll und unheilschwanger schwingen sich die Worte von Zeile zu Zeile. Und bringen dabei doch eines immer wieder zum Klingen: Die Saite der Abenteuerlust in uns.

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